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Der Mietenstreit sorgt für schlechte Laune in der Stadt. Es fehlt die größere Planungsperspektive.
© Ralf Hirschberger/dpa

Streit über Mietendeckel, Wohnen und Bauen: Berlin braucht einen Plan – gegen den City-Frust und für die Metropolregion

Die Berlin-Wahl im September wird ein Votum über Wohnungspolitik. Die Parteien gehen in Stellung. Aber das Problem ist größer. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ralf Schönball

Niemand wird diese Botschaft übersehen: Alle 140 Meter ein Plakat, 40.000 insgesamt – in fünf Sprachen rufen die Aktivisten des Volksentscheids zur Enteignung aller Konzerne mit mehr als 3000 Wohnungen auf und wollen zeigen, „wem die Stadt gehört“.

Den Menschen gehört sie, allen Menschen. Dazu gehört der Handwerker, der sich ein Miethaus zur Alterssicherung gekauft hat, der Chef der Aktiengesellschaft Deutsche Wohnen und der Bewohner der Rigaer Straße, der aus dem besetzten Haus und Treff Linksautonomer geräumt wurde.

Um die Zukunft dieser sehr gemischten Stadt geht es, wenn im Herbst gewählt wird. Und diese Wahl wird gleich zwei Richtungsentscheidungen fällen: über die neu ausgerichtete linke Wohnungs- und Mietenpolitik sowie über die Möglichkeit der „Vergesellschaftung“ von Unternehmen.

Klaus Lederer hat am Montag im Tagesspiegel für die linke Stadtentwicklung geworben. Die Einführung des Mietendeckels vor einem Jahr sei ein „politischer Kraftakt“ gewesen – und es stimmt: tiefgreifender wurde wurde wohl nie zuvor in den Markt eingegriffen. Zugleich sei dies erst der Anfang gewesen, ein „Paradigmenwechsel“ stehe bevor. Die Abgeordnetenhauswahlen werden also auch darüber entscheiden, wie radikal diese neue linke Stadtentwicklung fortgesetzt wird.

[Lesen Sie auch: Ein Jahr Mietendeckel: Zukunftsfrage Wohnen – das sind die Rezepte der Berliner Parteien (T+)]

Gegen den ganz harten Linksschwenk im rot-rot-grünen Bündnis steuerte bisher die SPD an. Spitzenkandidatin Franziska Giffey übt den Spagat: Mietendeckel ja, aber zeitlich begrenzt und die Atempause zum Bauen nutzen. Bauen war auch mal der gemeinsame Nenner von SPD und CDU. Im aktuellen rot-rot-grünen Bündnis heißt es dagegen: bauen nur unter dem Vorbehalt, dass die neuen Wohnungen dem Gemeinwohl dienen.

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Gemeinwohl ist auch das neue Leitbild der Grünen. Spitzenkandidatin Bettina Jarasch fordert, dass mehr als die Hälfte aller Wohnungen in Berlin langfristig dem Gemeinwohl dienen sollen.

Der Mauerpark im Bezirk Prenzlauer Berg.
Der Mauerpark im Bezirk Prenzlauer Berg.
© Gregor Fischer/dpa

Der Begriff ist vage genug, um das Mittun der Bürger bei Bauplänen, die Regeln zur Schaffung von günstigem Wohnraum oder Parks und das Klima in der Stadt zu umfassen. Fürs Gemeinwohl bauen meint außerdem: mit alternativen Finanzierern und Investoren, die nicht nur nach eigenem Wohl streben, nach hohen Renditen.

Viele Haushalte sind an ihre Grenzen gekommen

Politische Gegner nennen die linke Wohnungspolitik und die Umverteilung auf Kosten von Hauseigentümern, die der Mietendeckel bringt, populistisch. Fakt ist aber, dass die Mieten seit Jahren steigen und viele Haushalte an ihre finanziellen Grenzen treiben.

Das weiß auch die CDU. Kai Wegner bringt daher einen „Sicher-Wohnen-Fonds“ ins Spiel, Geld für jene, die ihre Miete nicht mehr zahlen können. Und er will gegen Mietwucher vorgehen. Recht und Ordnung unter Wahrung marktwirtschaftlicher Spielregeln.

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Diese sind auch der FDP wichtig. Und sie würde sich mit an den runden Tisch für mehr Neubau mit Wirtschaft und Bürgern setzen, den die CDU ebenso fordert wie die SPD. Nur dass Giffey einen „sozial“ orientierten Neubau will.

Aber jenseits des Streits um Mietendeckel, Neubauförderung und Verdichtung der Stadt gehört auf die Agenda des nächsten Senats die Planung der wachsenden Metropolenregion – als Gegenmittel zu innerstädtischem Frust, zu überfüllten Quartieren und Parks, verstopften Straßen, Bussen und Bahnen. Das muss zur Chefsache werden, egal, welche Koalition nach den Wahlen diese Stadt regiert.

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