Gewalt und Ausgrenzung an Berliner Schulen: Bei Schulmobbing wird noch zu oft beschönigt
Opfer von Schulmobbing bekommen noch immer zu wenig Hilfe. Stattdessen wird geleugnet aus Sorge um den Ruf der Schule. Was Lehrer und Politik nun tun müssen. Ein Kommentar.
Ein Kind, das immer wieder von Mitschülern geschubst, getreten und bespuckt wird. Eine Drittklässlerin, der ein Mitschüler schreibt, er wolle sie töten, später attackiert er sie körperlich. Der Tagesspiegel hat beim Thema Schulgewalt und Mobbing über Fälle wie diese berichtet. Jeder von ihnen verstört. Das Klassenzimmer als feindlicher Lebensraum: Wer als Schüler systematisch ausgegrenzt, drangsaliert und angegriffen wird, der leidet oft noch als Erwachsener unter dem Gefühl, nirgends dazuzugehören, von niemandem gemocht zu werden. Dem fällt es schwer, unbefangen auf Menschen zuzugehen. Der fragt sich mitunter sein Leben lang, ob nicht doch etwas an ihm selbst falsch ist. Denn müssen die Täter nicht irgendeinen vernünftigen Grund gehabt haben?
Die Schilderungen der betroffenen Familien zeigen auch, wo es anzusetzen gilt. Wo Mobbing schnell beendet werden konnte, da haben Lehrer unmittelbar und konsequent eingegriffen. Wo Kinder lange leiden mussten, da waren die Lehrer überfordert, passiv oder – schlimmstenfalls – gleichgültig. Auf die Courage der Pädagogen kommt es am meisten an. Deshalb müssen sie, besser als bisher, so aus- und weitergebildet werden, dass sie Mobbing erkennen, dass sie wissen, wie sie dagegen vorzugehen haben, und dass sie dazu auch praktisch in der Lage sind.
Nichts davon ist einfach. Und natürlich kommt es auch auf die Rahmenbedingungen des Schullebens insgesamt an, die in Berlin leider oft sehr schlecht sind. Doch gerade Mobbing ist ein Problem, das auch sogenannte Vorzeigeschulen betrifft. Wo der Leistungsgedanke im Vordergrund steht und man sich selbst als Elite wahrnimmt, müssen Pädagogen besonders sensibilisiert werden. Mehr Ressourcen zu verlangen, kann angesichts des Zustands Berliner Schulen immer nur richtig sein. Beim Thema Mobbing aber kommt es mehr als bei anderen nicht auf Geld, sondern auf Herz und Tatkraft der Pädagogen an.
Eine Meldepflicht muss her
Grundsätzlich ist das eine gute Nachricht. Denn sie heißt auch: Gute Lehrer können viel bewirken. Die Berichte der Opfer zeigen aber leider, dass noch immer zu viele Lehrer und Schulleiter abwiegeln. Mobbing? Doch nicht bei uns. Schikane? Ein bisschen Hänseln gehört dazu. Eine solche Reaktion ist für die Opfer zusätzliche Demütigung. Ob aus Angst um den Ruf der Schule, aus Ignoranz oder aus Bequemlichkeit: Wer leugnet und beschönigt, macht sich mitschuldig.
Wo das besonders oft passiert, an welchen Schulen und in welchen Kiezen das Problem besonders groß ist, weiß niemand genau. Schulen können Mobbing melden, müssen das aber nicht tun. Anhand von Daten aus der Pisa-Studie 2017 lässt sich – sehr ungenau – schätzen, dass es unter den Berliner Schülern rund 50.000 Opfer geben könnte. Die offizielle Statistik verzeichnet 50 Fälle im ersten Schulhalbjahr 2016/2017.
Nicht jeder blöde Spruch ist gleich ein Fall für die Statistik. Aber Pädagogen müssen in der Lage sein, die tatsächlichen Fälle zu erkennen und statistisch zu erfassen. Wenn die Schulverwaltung nicht einmal weiß, wie groß das Problem ist, kann sie es auch nicht angemessen bekämpfen. Eine Meldepflicht würde den Blick der Schulleiter auf das Phänomen schärfen und zudem Eltern eine Handhabe geben. Beides ist wünschenswert. Dass es für Mobbing keine Meldepflicht gibt, ist falsch. Rot-Rot-Grün sollte das schnell ändern.
Der Tagesspiegel bittet betroffene Opfer, sich zu melden, und berichtet umfangreich zum Thema Mobbing. Lesen Sie mehr auf unserer Schwerpunktseite.