Hoher Krankenstand und Überlastung: Bei der Berliner Feuerwehr schwelen die Probleme weiter
Weniger Arbeitsstunden, mehr Fahrzeuge: Seit September soll es der Berliner Feuerwehr laut Innensenator besser gehen. Ein Insider sieht das anders.
Seit September arbeiten die Berliner Feuerwehrleute 44 statt 48 Stunden pro Woche, zehn Millionen Euro stellte der Senat zur Beschaffung neuer Fahrzeuge zur Verfügung und die angesammelten Überstunden wurden ausbezahlt. Innensenator Andreas Geisel (SPD) sprach kürzlich auf einer Pressekonferenz von einer „Trendwende“. Die Frage ist nur: wohin?
Zu mehr Zufriedenheit unter den Feuerwehrleuten führen die Änderungen bislang offenbar nicht. Und zu mehr Sicherheit? „Die Sicherheit der Berliner hat sich seit dem 1. September deutlich verschlechtert“, sagt Michael Zimmer, der seit zwanzig Jahren Feuerwehrmann in Berlin ist.
Zimmer sitzt in einem Café im Norden Berlins und heißt in Wirklichkeit anders. „Inzwischen brauchen wir fast täglich 20, 30 Minuten zum Einsatzort“, erzählt er, vorgesehen seien eigentlich zehn Minuten in 90 Prozent der Fälle. „Die können zurzeit nicht einmal ansatzweise gehalten werden. Oft genug haben wir keinen einzigen Notarzt und keinen Rettungswagen einsatzbereit.“
Durch die verkürzte Arbeitszeit stehen der ohnehin schon unterbesetzten Feuerwehr noch weniger Kräfte zur Verfügung. Weil die Notrufzahlen aber stetig steigen, muss in den 44 Wochenstunden mehr geleistet werden: „Wenn wir heute eine 12-Stunden-Rettungsschicht machen, fahren wir zehn bis 14 Alarme. Mit Blaulicht quer durch die Stadt, das hält man nicht lange aus. Wir kommen nicht mal mehr zur Wache“, sagt Zimmer, „da muss man sich nicht wundern, wenn die Kollegen ausgebrannt sind.“
43 Mal Ausnahmezustand bei der Feuerwehr
43 Mal musste die Berliner Feuerwehr in diesem Jahr schon wegen Überlastung den Ausnahmezustand ausrufen, 2017 war das nur neun Mal der Fall. Und ein Ende ist kaum in Sicht: Intern geht man von weiteren zwei bis drei Jahren Mangelverwaltung aus. Es gibt aber auch eine gute Nachricht. Die allermeisten Feuerwehrleute halten selbst in der aktuellen Lage ihren Beruf für einen der schönsten. Deshalb funktioniert die Feuerwehr immer noch. Aber das ist auch Teil des Problems. Gerade weil es irgendwie geht, wird der Handlungsbedarf nach Ansicht von Geisels Kritikern unterschätzt. Wie die Ressourcen auch hin und her geschoben würden, sie reichten nicht, heißt es.
Beispiel Drehleitern: Damit möglichst viele Rettungswagen rausgeschickt werden können, sind nur noch die Löschfahrzeuge, aber nicht mehr die Fahrzeuge mit Drehleitern planmäßig besetzt. Weil die meisten Wachen nur ein Löschfahrzeug haben, kommen im Falle eines Brandes – für den in der Regel zwei Löschfahrzeuge und eine Drehleiter ausrücken sollen – die Fahrzeuge aus mindestens zwei verschiedenen Wachen. Nicht selten fahren zu einem Feuer so Wagen aus drei Ecken der Stadt. Die Anfahrtswege werden länger, die Rettungschancen geringer.
Beispiel Statusgenauigkeit: Während der Arbeit melden die Feuerwehrleute der Leitstelle den ganzen Tag, was sie gerade tun. Sie drücken die Eins für verfügbar, die Vier, wenn sie beim Notruf eintreffen, oder die Sechs für „außer Dienst“, wenn der Rettungswagen innen gereinigt werden muss. Dafür waren bislang 45 Minuten eingeplant. Um die Einsätze schneller takten zu können, wurde diese Zeit jetzt auf 15 Minuten verkürzt.
Doch seit der Umstellung vor wenigen Tagen erhält die Leitstelle ungewöhnlich oft die Meldung, der Rettungswagen müsse nach einem Infektionstransport gesondert gereinigt werden. Darauf folgt eine Reinigungszeit von einer Stunde. Etliche Feuerwehrleute melden offenbar einen falschen Status, um mehr Zeit bis zum nächsten Einsatz zu haben. „Die gesetzten Statusmeldungen sind oft nicht plausibel“, sagt Thomas Kirstein, Pressesprecher der Feuerwehr, „dies schwächt das System zusätzlich“. Und das nehme schon skurrile Züge an. „Vor ein paar Tagen wurde uns sogar ein Käferbefall gemeldet.“
Die Leitstelle kennt zwar den Druck, der die Kollegen in den Rettungswagen zunehmend stresst – muss aber nun einmal die hohe Zahl von Notrufen bedienen. Feuerwehrmann Michael Zimmer hat kein Verständnis für die Maßnahmen der Führung um Geisel: „Die stehen mit dem Rücken an der Wand. Die merken, wir schaffen es nicht, und greifen nach jedem Strohhalm.“
Mindestens 155 Fehleinsätze pro Tag
Abhilfe könnte aus Sicht von Feuerwehrmann Michael Zimmer eine flexiblere Nutzung des Notrufannahmesystems SNAP bringen. Eventuell könnte man es ganz abschaffen, schlägt er vor. Denn SNAP ist eine standardisierte Abfrage. Das bedeutet unter anderem: Wenn ein Anrufer bestimmte Stichworte nennt – beispielsweise „Brustschmerz“ – muss ein Einsatz ausgelöst werden, selbst wenn der Mitarbeiter in der Leitstelle den Eindruck hat, der Fall sei weniger dramatisch.
Doch die standardisierte Abfrage ist nach dem Berliner Rettungsdienstgesetz vorgeschrieben. Folglich sind die hohen Einsatz- und Notrufzahlen laut Zimmer nicht nur eine Folge des demografischen Wandels und des Bevölkerungswachstums in Berlin. Es liege auch an SNAP, daraus resultierten viele Fehleinsätze. Im Jahresbericht 2017 ist die Rede von 155 Fehleinsätzen pro Tag, Zimmer schätzt sie höher ein: „Das sind locker 200 bis 500 Fehleinsätze am Tag“, sagt er, diese würden aus Haftungsgründen nur nicht immer als solche registriert.
„Die Mitarbeiter in der Leitstelle sind sehr gut ausgebildet und können die Verantwortung tragen, selbständig Entscheidungen zu treffen“, sagt er. Auch ohne SNAP. Dass SNAP nicht perfekt ist, weiß auch die Führung: „Die Notrufabfrage ist ein ganz großes Thema“, sagt Pressesprecher Kirstein, dem das Thema ebenfalls Sorge bereitet. „Durch ein konsequentes Qualitätsmanagement möchten wir eventuelle Schwachstellen analysieren.“
Nur eingeschränkt einsatzbereit
Eine zweite Chance wäre die Senkung des Krankenstands. 750 Feuerwehrleute sind nur noch eingeschränkt einsetzbar, 350 bereits mehr als 42 Tage am Stück krank, manche davon kommen seit Jahren nicht zur Arbeit. Eigentlich sollte die 44-Stunden-Woche den Krankenstand senken. Doch das Gegenteil scheint der Fall zu sein.
In gewisser Weise ist die Feuerwehr Opfer ihrer eigenen Gutgläubigkeit geworden. Recht lange hat man geglaubt, der Senat werde sich schon kümmern. Aktuell aber passiert zum Beispiel das: Von den zehn Millionen Euro für neue Fahrzeuge können 2018 nur zwei tatsächlich ausgegeben werden. Und die Zulage, die zum Juni eingeführt werden sollte, wurde jüngst auf Januar vertagt.