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150 bis 160 Menschen am Tag kommen auf eine Tasse Tee, zum Ausruhen oder zur Beratung in die Bahnhofsmission Ostbahnhof.
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Älteste Mission Deutschlands: Bahnhofsmission im Berliner Ostbahnhof wird 120

Er ist weder schön noch heimelig, aber dennoch ein Raum zum Ausruhen. Tausende Menschen im Jahr suchen hier Ansprechpartner, Hilfe oder schlicht nur eine Tasse Tee. Die Bahnhofsmission im Berliner Ostbahnhof kann auf eine lange und bewegte Geschichte zurückblicken.

Sieben Tage pro Woche, 365 Tage im Jahr helfen die Mitarbeiter der Bahnhofsmission im Berliner Ostbahnhof Bahngästen beim Ein-, Aus- und Umsteigen. Angemeldete Reisehilfe müssen sie aber nur drei- bis sechsmal pro Woche leisten. „Viel öfter helfen wir Reisenden ohne Fahrkarte, ohne Ziel, beladen mit zwei, drei Plastiktüten und verschiedensten Lebenslasten“, sagt die Leiterin der Bahnhofsmission Ostbahnhof, Ursula Czaika (59). Ihre Arbeit gleiche einem Seismografen: „Veränderungen oder Erschütterungen in der Gesellschaft lassen sich hier sehr schnell ablesen.“ Das zeigt auch die Geschichte der Bahnhofsmission: Am Dienstag feiert sie ihr 120-jähriges Bestehen - und ist damit die älteste Deutschlands. Die Bahnhofsmission wurde 1894 von Frauen aus dem Bürgertum gegründet. Sie halfen Mädchen und jungen Frauen, die während der Landflucht in die Fänge von Schleppern und Zuhältern geraten waren. Sie kamen damals mit den Zügen in Berlin an, damals hieß er noch Schlesischer Bahnhof, erzählt Czaika.

In der Nazi-Zeit wurden die Missionen geschlossen. Nach dem Krieg kümmerten sie sich um verwundete Soldaten und Heimkehrer. Die Mission am Ostbahnhof war die einzige, die in der DDR weiterarbeiten durfte. Die Räumlichkeiten lagen damals gegenüber dem Bahnhof auf einem Privatgrundstück. Die DDR-Machthaber konnten den christlichen Dienst daher nicht verbieten.

„Beratung kann man keinem überstülpen.“

Heute steht die Bahnhofsmission täglich zwischen 8.00 und 17.00 Uhr offen. „Man weiß morgens nie, was der Tag bringt“, sagt Czaika. Obdachlose, Drogenabhängige und psychisch auffällige Menschen suchen dort Tee, Ruhe und jemanden, der zuhört. Vier haupt- und 20 ehrenamtliche Mitarbeiter arbeiten auch als Seelentröster: Sie hören zu, lassen die Leute aber auch in Ruhe und bauen Vertrauen auf.

„Wir wollen unsere Gäste beraten“, sagt eine 52-jährige Ehrenamtliche. „Aber eine Beratung kann man keinem überstülpen.“ Die Frührentnerin hilft einmal pro Woche, vor 15 Jahren kam sie erstmals mit der Stadtmission in Kontakt. Damals lebte sie selbst für einige Zeit auf der Straße und kam zum Essen dort hin. „Gesprochen habe ich mit keinem. Ich stand vollkommen neben mir.“ Die Mitarbeiter ließen sie gewähren, nach ein paar Besuchen kamen sie ins Gespräch - und boten Hilfe an. Sie hat sich wieder aufgerappelt, bekam eine Wohnung, einen Job, arbeitete sogar zwei Jahre bei der Bahnhofsmission am Zoo. Dort etablierte sie die Reiseassistenz für Kinder „Kids on Tour“ mit.

Ursula Czaika (59) leitet seit sechs Jahren die Bahnhofsmission Ostbahnhof, seit 15 Jahren engagiert sie sich dort.
Ursula Czaika (59) leitet seit sechs Jahren die Bahnhofsmission Ostbahnhof, seit 15 Jahren engagiert sie sich dort.
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Den liebevollen Umgang, den sie selbst erlebt hat, versucht sie weiterzugeben. „Aber auch die Regeln hier müssen eingehalten und durchgesetzt werden“, sagt die 52-Jährige. Helfer bräuchten nicht nur ein großes Herz, sondern auch „Konsequenz und Distanz“, um den gegenseitigen Respekt einzufordern. Außerdem müsse man offen für kreative Lösungen sein und „flexibel im Kopf“.

Ein 44-Jähriger kommt regelmäßig vorbei. Seit Sommer 2011 lebt er auf der Straße, der plötzliche Tod seiner Frau brachte sein Leben ins Wanken. Er kennt viele Hilfsstellen. In die Stadtmission kommt er, weil er gern hier ist. „Die Leute sind nett und haben immer ein offenes Ohr“, sagt er. Das Besondere hier? „Die Leute helfen dir immer. Ohne Termin und Bürokratie.“ Nach Namen oder Ausweis fragt niemand.

Eine Tasse Tee und eine Kleinigkeit zu essen. Beratung und ein offenes Ohr sind oft noch wichtiger.
Eine Tasse Tee und eine Kleinigkeit zu essen. Beratung und ein offenes Ohr sind oft noch wichtiger.
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Gesucht: Ehrenamtliche, die süd-osteuropäische Sprachen sprechen

Acht Plätze gibt es zum Tee trinken, Essen und Ausruhen, acht weitere für Reisende und Beratungsgespräche. Nach einer halben Stunde müssen die Obdachlosen weiter ziehen, 150 bis 160 Menschen kommen am Tag.
Die Räume stellt die Deutsche Bahn kostenlos zur Verfügung, sie bezahlt auch die Nebenkosten. Träger ist der katholische Verband für Mädchen- und Frauensozialarbeit IN VIA. Zweimal pro Woche bringen die Tafeln Lebensmittel vorbei.

Dennoch sind sie immer wieder auf Hilfe angewiesen. „Wir brauchen Sach-, Zeit- und Geldspenden“, sagt Czaika. Derzeit suchen sie Ehrenamtliche, die süd-osteuropäische Sprachen sprechen. Aus der Region kommen derzeit besonders viele.

In Berlin gibt es zwei weitere Bahnhofsmissionen. Die am Zoo ist drei bis viermal so groß, der Schwerpunkt liegt dort auf der Speisung. Am Hauptbahnhof wird hauptsächlich Reisehilfe angeboten. Bundesweit gibt es mehr als 100 Bahnhofsmissionen. (mit dpa)

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