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Landpartie mit Sonderzug. In den Jahren nach dem Mauerfall boten die „Klassiker auf Landpartie“ den West-Berlinern mit musikalischen Entdeckungsreisen in die Mark Brandenburg eine unkomplizierte Möglichkeit, Land und Leute kennenzulernen.
© promo

Brandenburgische Sommerkonzerte: Aus den Noten wurde eine Tugend

Jetzt starten wieder die Brandenburgischen Sommerkonzerte. Ein Bildband erinnert an die Anfänge vor 25 Jahren.

Dieser Satz zieht sich wie ein roter Faden durch die Entstehungsgeschichte der Brandenburgischen Sommerkonzerte: „Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass wir ein gutes Glas Wein miteinander trinken.“ Damit lockte Werner Martin, der Gründer der „Klassiker auf Landpartie“, nach dem Fall der Mauer potenzielle Unterstützer in die Paris Bar.

Hat eigentlich mal jemand gefragt, was das Beste ist, was passieren kann? Die Antwort liegt 25 Jahre später auf einem Tisch in der Paris Bar vor ihm und dem langjährigen brandenburgischen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe. „Geh aus mein Herz…“ heißt ein wunderschön illustrierter Erinnerungsband, den die beiden gemeinsam herausgegeben haben. Er weckt jede Menge Erinnerungen an bewegende Konzerte, verzaubernde Landschaftserlebnisse und die vielleicht stimmungsvollste Weise, in der sich Brandenburger und West-Berliner nach der Wende näher kamen.

Stolpe formuliert das bei der Buchvorstellung politischer, spricht von einer herausragenden zivilgesellschaftlichen Initiative, erinnert sich daran, wie er nach Wegen gesucht hat, West-Berliner und Brandenburger, die so lange voneinander getrennt waren, zusammen zu bringen und empfiehlt das Buch schon mal als Weihnachtsgeschenk.

Bei einem guten Glas Wein mit Freunden im Wirtshaus Moorlake lernten sich die beiden im Mai 1990 kennen. Auf beiden Seiten herrschte noch Unsicherheit, wie das gehen würde mit der Wiedervereinigung. Für Werner Martin mündete das Treffen in dem festen Vorsatz: „Wir wollen die Menschen zusammen bringen. Und da ist Kultur die einzige Basis.“ Viele Fontane-Zitate zieren die Bilder in dem Band, darunter dieses: „Das Poetische hat immer recht, es wächst weit über das Historische hinaus."

Auch biografische Aspekte spielten eine Rolle. Der erfolgreiche Rechtsanwalt aus West-Berlin war als Pfarrerssohn in Brandenburg aufgewachsen und ahnte, was für Schätze dort schlummerten. Die Vision kam im Grunde aus der Erinnerung. Der Vater hatte regelmäßig Ausflüge nach Kloster Chorin organisiert. Herrlich fand Werner Martin es als Kind, mit Zug und Pferdefuhrwerk dorthin zu fahren. Dem Bad im See folgte gemeinsames Singen und Vorlesen, zu essen gab es mitgebrachten Kuchen. Lange war das her. In der DDR kannte sich Martin, wie so viele West-Berliner, gar nicht mehr aus. Dafür hatte er einen bestens aufgestellten Freundeskreis. Ein Busunternehmer gehörte dazu. Ein Brauereibesitzer. Der Chef einer Werbeagentur. Die Gründerin einer Konzertagentur. Und die aus Tirol stammende Ehefrau Karin kam aus einer Hoteliersfamilie.

Die Freunde telefonierten in ihrem Bekanntenkreis herum und brachten insgesamt 900 Leute zusammen, die am Pfingstsamstag 1990 vom Hotel Palace aus nach einem „Abschiedsbecher“ , das Synonym für ein gutes Glas Wein, Richtung Kloster Chorin aufbrachen. Das Konzert mit dem Trompetenvirtuosen Ludwig Güttler und dem Leipziger Bachkollegium inklusive anschließender Abendtafel, wurde ein voller Erfolg. Bei sonntäglichen Besuchen in der Mark entdeckten die Freunde weitere Spielorte.

Systematisch begannen die Konzerte im Sommer 1991. Besonders am Anfang waren sie von ungezählten Anekdoten begleitet, die in dem Buch zum Teil auch nacherzählt werden. Von dem Zug zum Beispiel, der auf eingleisiger Strecke an der richtigen Haltestelle vorbei fuhr, dann bremste und die Gesellschaft rückwärts zum Ziel brachte. Von den fehlenden Steckdosen, die das Kaffeekochen oder Hähnchenbraten immer wieder zur Zitterpartie machten. Von den Kommunikationsproblemen in jenen Tagen, als es noch kein Internet gab, von dem ersten Handy, das schwer war wie ein Koffer. Überall musste man persönlich hinfahren, das Telefonnetz in der DDR war ja sehr schlecht. Die Eintrittskarten wurden im Keller des Martinschen Hauses von Hand geschnitten. Vieles war mühsam in jenen Jahren, aber dafür gab es wunderbare Überraschungen.

Die legendären Kaffeetafeln wurden mit Blechkuchen bestückt und Feldblumen geschmückt von den rasch gebildeten örtlichen Freundeskreisen. So tot wie es immer gesagt wurde, war also das ehrenamtliche Engagement nicht in der DDR, es schlief nur, und diese Initiative hat es vielerorts wieder zum Leben erweckt. Es gibt vielleicht zu wenige historische Fotos in dem Buch, dafür wunderbare, kunstvolle neue Aufnahmen von Spielorten und atemberaubend schönen Landschaften, die Erinnerungen wecken an magische Momente, an wildromantische Spaziergänge, hochkarätige Konzerte, an überraschende Begegnungen, an das gemeinsame Abendliedersingen und den unglaublichen Mond bei der Heimfahrt zwischen Bodenwolken, die auf Blüten lagen.

Mit Benefizkonzerten und dem Verkauf von Speisen und Getränken sowie einem Teil der Ticketerlöse schafften es die Klassiker auf Landpartie nebenbei, viele bedeutende Denkmale zu retten. Von Anfang an legte man Wert darauf, dass keine öffentlichen Mittel für das Festival in Anspruch genommen werden sollten.

Heute kaufen Brandenburger die Hälfte der Karten. In den 90er Jahren aber waren die Sommerkonzerte für West-Berliner die schönste und einfachste Möglichkeit, ein fremdes Land zu entdecken, ungeahnt schöne Landschaften zu erleben und Menschen kennen zu lernen, die meist schon vor dem ersten Glas Wein gar nicht mehr so fremd wirkten, wie man gedacht hatte.

Werner Martin, Manfred Stolpe (Hrsg.) „Geh aus mein Herz... 25 Jahre Brandenburgische Sommerkonzerte. Musikalische Entdeckungsreisen in der Mark. Mit den Klassikern auf Landpartie“, Nicolai Verlag, Berlin. 320 Seiten. 29,95 Euro.

Eröffnungskonzert 2015: 14. Juni, 17 Uhr, Kreuzkirche, Königs Wusterhausen.

Elisabeth Binder

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