Verschwindende Stadtmöbel: Aus dem Leben einer Telestation
Nackt steht sie im Wind, die Telestation, verlassen, unbeachtet, am Anfang der Kastanienallee. Sie hört sich alles an, ist Zeuge der Veränderung, der letzte Anker der Hoffnungslosen – und selbst kaum zu retten.
Zu Hunderten laufen sie an dir vorbei, von früh bis spät, Tag für Tag, Sommer wie Winter. Aber sie sehen dich nicht, schauen einfach durch dich hindurch, für sie existierst du nicht mehr. Und doch ist da plötzlich dieser Mann. Eben noch fischte er auf der anderen Straßenseite eine leere Flasche aus dem Mülleimer, jetzt steht er vor dir. Er trägt eine ordentliche, aber zu dünne Jacke und eine saubere, aber zu kurze Hose. Der graue Bart angegilbt, die Mütze etwas schief auf dem Kopf. Er berührt dich, streicht mit den Fingern über deine Tasten und nimmt schließlich deinen Hörer ab.
Es ist also tatsächlich passiert, dabei war ich mir so sicher. So sicher, dass niemand mehr noch etwas von dir möchte. Von dir, einer Telefonzelle direkt am nördlichen Anfang der Kastanienallee, schräg rechts vor der Hausnummer 3, mitten in Prenzlauer Berg. Seit dem Morgen passe ich schon auf dich auf, widme dir meine ganze Aufmerksamkeit und hatte schon jede Hoffnung aufgegeben, aber jetzt ist da dieser Mann. Doch was tut er? Anstatt Geld in dich zu stecken, anstatt zu wählen, lauscht er in dich hinein, zehn, 20, 30 Sekunden lang. Dann hängt er den Hörer wieder ein. Einfach so. Er scheint erleichtert, wendet sich ab und geht. Ich tippe ihm auf die Schulter. Was haben Sie da eben gemacht? Er schaut mich an und seufzt. Er sieht aus wie jemand, der bei etwas ertappt worden ist. „Ich mache das immer“, sagt er und schweigt. Er hat dich nicht benutzt. Er hat dir nur zugehört.
Dir, einem Relikt, einem Fossil, das keiner mehr braucht und das bald verschwunden sein wird. Genau genommen bist du schon nicht einmal mehr eine Telefonzelle. Früher, als du noch gebraucht wurdest, da wärest du eine gewesen. Mit einer ordentlichen Tür, hinter der man geschützt ist vor Wind, Lärm und Regen. Du hattest sogar noch echte Telefonbücher. Wie ein kleines Haus warst du und anscheinend so gemütlich, dass in älteren Versionen von dir ein Schild hing: „Nimm Rücksicht auf Wartende – fasse dich kurz!“ Und so privat, dass man hier sein Herz ausschütten konnte, mitten auf der Straße, ohne dass es jemand mitbekam. Heute schütten die Menschen ihre Herzen in aller Öffentlichkeit aus. Sexgeschichten, Trennungsandrohungen und Unterhaltsstreitereien, alles wird am Smartphone im Berliner Nahverkehr verhandelt. Bittet man um Zurückhaltung, werden einem Schläge angedroht. Du wurdest deiner Seele beraubt. Soll man sagen kastriert? Ein Telefon mit Dach, das ist die profane Wahrheit, das bist du, eine „Telestation mit Hot-Spot“ ohne Tür, ohne Schutz. Stehst da wie eines dieser nackten Hündchen ohne Fell, zitternd im Wind. Wann werden sie kommen und dich abbauen?
Ein stummes Angebot
Schnell zwei Becher heißen Kaffee, bevor der Mann, den ich angesprochen habe, weiter schweigt. Wir setzen uns auf eine Bank, er rollt sich eine Zigarette, lässt sich Zeit. „Es ist das Tüten“, sagt er schließlich. Das Tüten des Telefons. Wenn er auf seiner Flaschentour ist und an diesem Telefon vorbeikommt, dann muss er den Hörer abheben. Das beruhigt ihn, sagt er. Das gibt ihm Halt. Sie seien Freunde, sagt er, nein, sogar Geschwister. Der Mann heißt René, ist 55 Jahre alt, ein bisschen verrückt. In seinem früheren Leben war er Lehrer, hat an einer Hauptschule gearbeitet, Deutsch und Musik. Er hat es aber nicht ausgehalten, war zu weich, die Blagen haben’s ausgenutzt und ihn fertiggemacht. Irgendwann konnte er morgens nicht mehr aufstehen, war ausgebrannt. Neben den leeren Flaschen steckt ein Buch in der Tasche. ‚Die Liebe in Zeiten der Cholera‘. Das hat er auf der Straße gefunden. „Ein tolles Werk“, sagt er. Er wird es nachher weiterlesen, zu Hause in der Badewanne, wenn er das Geld für einen Rotwein zusammenhat. Der Kaffee ist getrunken, die Zigarette geraucht, René zieht weiter. Ich bleibe bei dir, Telestation.
Weißt du eigentlich, wie du aussiehst? Tiefe Furchen haben sie in dich hineingekratzt, beschmiert haben sie dich, vollgeklebt und zugkleistert. Verlebt bist du und heruntergekommen, kein schöner Anblick. Aber darf man deswegen so mit dir umgehen? Ein Bier haben sie auf dir abgestellt, Zigaretten an dir ausgedrückt. Menschen lassen zu, dass ihre Hunde dich bepinkeln, und manchmal pinkeln sie selbst. Mithin wirst du getreten, aus Frust, aus Wut. Dabei stehst du nur da, Tag wie Nacht, ein stummes Angebot, das keiner annimmt.
Vielleicht bist du das erste wirkliche Opfer dieser neuen digitalen Welt: gestrig, überholt. Da hilft auch kein Kreditkartenschlitz und kein W-Lan, um moderner zu wirken. Wie lange wirst du deinen Platz noch halten können?
Wer bitteschön ich bin? Entschuldige, wie unhöflich von mir. Ich nehme deinen Hörer in die Hand – Hartplastik, glatt, mit Dreckschlieren behaftet, ich muss dich mit einem Babyfeuchttuch saubermachen, bevor ich dich an mein Ohr halten möchte. „Ich heiße Karl“, sage ich in den Hörer, „und ich werde heute und morgen bei dir sein, von früh bis spät.“ Gibt es überhaupt noch jemanden, der Geld in dich wirft und eine Nummer wählt? Ich kann mir gut vorstellen, dass meine Stimme die erste ist, die du seit Langem vernommen hast. Und wo ich schon hier stehe, kann ich auch mit dir sprechen, statt dass wir nur gemeinsam einsam sind. Du, Telestation, antwortest mit einem melancholischen, langgezogenen Klagetüt.
Keine offizielle Telefonzellen-Liste
Es ist ein Winter-Mittwoch kurz nach neun, als ich mich neben dir postiere. Minuten vergehen, ohne dass etwas passiert. Wie schnell Gedanken auf Wanderschaft gehen, während die Füße auf dem Boden kleben. Meine Hand zuckt alle 30 Sekunden an meine Hosentasche zu meinem Smartphone. Aber ich widerstehe. 20 Minuten später, ich summe Kinderlieder, gehe auf und ab, umrunde die Zelle, überquere die Straße zur gegenüberliegende Haltestelle, tue so, als ob ich auf die Straßenbahn warte, und komme wieder zurück. Erst jetzt entdecke ich drei Zettel an meiner Telestation. Schlüssel gesucht. Babysitter gesucht. Die Liebe des Lebens gesucht. Ich rufe sie alle an.
Schlüssel. Ein Mann antwortet, belustigt. Ja, das war eine echt ärgerliche Sache. Verloren, wahrscheinlich Kastanienallee Ecke Schönhauser. Gemerkt hat er das nachts, nach einer Feier, stand vor seiner Tür und kam nicht rein. Weil er keinen teuren Schlüsseldienst-Nachteinsatz buchen wollte, ging er noch in einen Club und tanzte bis zum Morgen. Das Problem: Am Bund waren auch die Arbeitsschlüssel. Wenn die nicht bald auftauchen, müssen alle Schlösser ausgetauscht werden. Kosten: 8000 Euro. Kein Anruf bisher.
Babysitter. Eine Frau, gestresst. Ja, es haben sich viele Leute gemeldet. Sie hätten jetzt ein nettes Mädchen gefunden. Eine Spanierin, dann können die Kinder gleich Spanisch lernen. Viermal in der Woche soll sie die Kinder von der Kita abholen. 15 Euro kriegt sie pro Stunde. Das sei ein sehr guter Preis.
Große Liebe. Ein Mann, redselig. Sie hat ihn auf der Straße angesprochen. Er war überrascht, denn das war ihm noch nie passiert. Sie haben erst einen Kaffee getrunken, dann Wein, später haben sie sich geküsst, genau an dieser Ecke. Es war ein toller Kuss, erst zärtlich, dann intensiv. Doch sie musste dann los. Er bekam ihre Nummer und ihren Vornamen: Celine. Er solle sich unbedingt melden. Sie wartet auf seinen Anruf. Doch, oh weh, das Handy fiel herunter, der absolute Crash, keine Online-Synchronisierung, alle Nummern weg, auch ihre. Kein Anruf bisher.
5,50 Euro vertelefoniert. Oh, Telestation, du bist ein teures Vergnügen. Und obendrein schwer zu finden, denn es gibt keine offizielle Telefonzellen-Liste. Manche Zellen sind auf Googlemaps verzeichnet, du nicht. Dann gibt es die eine oder andere Internetseite, www.deutschland123.de zum Beispiel, da werden Telefon-Standorte aufgelistet, aber auch hier bist du nicht dabei. Wie viele gibt es noch von deiner Art? Du müsstest längst auf der roten Liste stehen, stirbst schneller aus als das Rebhuhn. 2004 sollen noch 107 000 Telekom-Zellen in Deutschland gestanden haben. Heute sind es bloß noch 22 000 öffentliche Telefone, und sie werden täglich weniger.
Entdeckt habe ich dich zufällig. Oder war es Schicksal?
Die schlanke Form, reines Understatement
Ausgerechnet in dem Kiez und der Straße, in der ich meine Jugend verbracht habe, stehst du. Ich erinnere mich an Sommernächte im Mauerpark. Winter bei Underground-Punk-Konzerten in Hinterhofkellern. Genau hier bin ich in eine Demonstration am 1. Mai geraten, Steine flogen, Scheiben splitterten, sicher warst du auch unter den Opfern. Böller rumsten, ein Auto brannte und ich machte, dass ich wegkam. Hier saß ich auf einem der Dächer, habe den Sonnenaufgang erwartet und meine erste Freundin geküsst. Treppenaufgänge mit Dachzugang waren heiß gehandelte Geheiminformationen, die Lizenz zum romantischen Knutschen. Verabredet haben wir uns mit dir. Handys gab’s ja noch nicht. Kurz nach dem Abi pflegte ich alte Menschen, und meine Morgenrunden führten mich oft in diese Straße. Sie wohnten hier, die greisen Frauen und Männer, alleine mit ihren Erinnerungen in ihren wunderschönen, viel zu großen Altbauwohnungen, mit Kohleöfen und antiken Küchen. Bei manchen musste ich vorher anrufen, mit dir natürlich, und Bescheid sagen, dass ich gleich klingle und die Tür aufschließe. Sie hätten sich sonst zu Tode erschreckt.
Jeder Besuch bei den Alten war eine Zeitreise, in die DDR, in die Nazizeit, die Weimarer Republik. Fotos, Geschichten, alte Bücher, alles inklusive. Schauten die Alten aber auf die Straße, fragten sie sich, was zur Hölle geschehen ist. Häuser waren besetzt, Punks ließen ihre Hunde laufen. Sprayercliquen lieferten sich Kämpfe, gegeneinander und mit der Polizei. Und du, damals noch eine Telefonzelle, hast da gestanden und alles beobachtet. Hörtest dir alles an. Warst stummer Zeuge der Veränderung.
Heute scheint es eine unsichtbare Grenze zu geben. Vorne an der Ecke, da tobt die Schönhauser und rast die Eberswalder, zur Arbeit, zur Arbeit, schnell, schnell. Biegt man aber in die Kastanienallee ein, entschleunigt sich alles, wird es ruhiger, ja fast schon dörflich gediegen. Die Autos gleiten langsam dahin, Menschen aller Art schlendern umher, manche führen ihre Minihunde aus, Affenpinscher, Dackel, was es gibt. Der Stress der anderen scheint nicht in die Kastanienallee zu dringen.
Die Stunden vergehen, es wird Mittag, es wird früher Nachmittag. Die Autos, das Geplapper, das Straßenbahnquietschen, alles vermischt sich zu einer großen Großstadtsinfonie. Mit dem Unterschied: Alle haben einen Sinn und ein Ziel, das sie anstreben. Nur ich und du nicht, wir bleiben hier stehen und werden Teil des Geschehens. Ein Kind verliert seine Mütze. Ich renne hinterher und gebe sie der Erzieherin. Eine Rollstuhlfahrerin kann nicht mehr. Ich schiebe sie in die Straßenbahn hinein. Ein Fahrradfahrer verfängt sich in den Furchen der Straßenbahnschienen, er stürzt. Ich helfe ihm auf. Ein Spatz schaut hungrig. Ich brösele ihm etwas Brötchen auf den Asphalt. Er kommt angeflogen, pickt und freut sich. Schau mal, Telezelle, wir haben einen neuen Freund gefunden. Wieder betrachte ich dich. So unansehnlich finde ich dich inzwischen gar nicht mehr, im Gegenteil: Deine schlanke, glatte Form fängt an, mir zu gefallen, dieses Understatement.
Sie legt auf und weint
Da. Hoffnung. Eine alte Frau biegt zu dir ab. Weiße Haare, ein freundliches Gesicht, eine runde Brille. Sie pult eine Münze aus der Jackentasche und steckt sie in dich hinein. Himmel, es passiert tatsächlich. Liebe Telestation, was ist das für ein Gefühl, das Bargeld zu spüren und wieder gebraucht zu werden? Sie drückt die Nummerntasten. Sie lauscht. Doch nichts passiert. Dann legt sie wieder auf und fängt an zu weinen. Ich gehe zu ihr und frage, ob alles in Ordnung ist. Erschrocken schaut sie mich an. Hält ihre Handtasche fest. Im nächsten Moment fasst sie sich: „Ach, junger Mann. Sie wissen ja nicht, wie das ist. Ich wollte gerade Matthias anrufen. Doch es geht nur diese Maschine ran und da spreche ich nicht rauf. Matthias ist mein Enkel, der hilft mir ja, wenn es knapp wird. Ich habe nichts mehr zu essen, kein Geld in der Haushaltskasse und meine Tafelstation macht erst am Donnerstag auf“, sagt sie und schnauft – nach so einer langen Ansprache völlig außer Atem.
Wo sie immer einkauft? Zwei Straßen weiter ist ein Supermarkt. Langsam gehen wir dorthin. Sie erzählt, ist aber vorsichtig, denn sie will nicht zu viel von sich verraten. Sie lebt schon immer hier. War früher Erzieherin, das hat ihr gefallen. Nach der Wende wurde sie arbeitslos, ging in Rente und musste in eine kleinere Wohnung ziehen, Hinterhof, Erdgeschoss, ein dunkles, kleines Zimmer. Ihre Freunde sind alle weg. Auf der Straße kennt sie niemanden mehr. „Ich bin eine der letzten Alten“, sagt sie. „Oder sehen Sie hier noch jemanden so langsam laufen wie mich?“ Wir kaufen abgepacktes Brot. Kräuterquark. Margarine. Kartoffeln. Eine Gurke. Mehr will sie nicht. Morgen hat die Tafel wieder auf. Ob ich es ihr nach Hause tragen soll? Sofort wird sie wieder misstrauisch. Nein, ich gehe alleine, sagt sie, winkt und läuft davon.
Ich habe dich allein gelassen, entgegen meinem Versprechen, tut mir leid. Die Sonne sinkt tiefer, die Schatten werden länger, der Wind eisiger. Ich leiste mir noch einen Kaffee, setze mich auf eine Bank und schaue dir beim Warten zu. Die Zeit vergeht. Mir wird wieder langweilig. Ich fange an zu zählen. Eine Stunde lang mache ich eine Strichliste in meinem Notizblock: 310 Autos, 330 Fußgänger, davon halten 130 ihr Smartphone in der Hand, 60 Fahrradfahrer, 35 Hunde, 45 Kinder, 24 Straßenbahnen. Ich erreiche einen meditativen Zustand. Alles verschwimmt. In den dunkler werdenden Schatten fällt mir das sanfte Leuchten deines Lichtes auf. So tapfer, und zugleich so viel wärmer und angenehmer als das Neonleuchten der Straßenlaternen und Autoscheinwerfer. Wusstest du, dass du mindestens 50 Euro im Monat Umsatz machen musst, damit du nicht abgebaut wirst? Strom kostet Geld. Die Wartung auch. 50 Euro, das ist deine Zielmarke, das musst du schaffen, sonst fällst du auf, kommst auf die Liste und wer auf der Liste steht, wird abgebaut.
Wahnsinn, schon wieder passiert etwas. Unvermittelt ist der Mann einfach da, taucht wie ein Geist vor dir auf und nimmt deinen Hörer in die Hand, wirft Geld ein, tippt die Nummer von einer Karte ab. Er wartet kurz, dann spricht er, hört zu, so geht es hin und her. Er schaut auf seine Uhr, er nickt, dann hängt er den Hörer auf und läuft davon. Die Karte lässt er auf dir liegen. Ich nehme sie und will ihm hinterher, doch er ist schon um die Ecke verschwunden. Er hat die Nummer von einem „Salon Prestige“ gewählt. Ein Bordell.
Einsamer Klagetüt
Oh, du meine Telestation, was für Geheimnisse du dir anhörst. Ob der Mann sich gerade zu einem Bordellbesuch angekündigt hat? Ist er einsam oder gerade dabei, jemanden zu betrügen? Ruft er von dir aus an, weil ihn zu Hause vielleicht jemand belauschen könnte? Bist du, Telezelle, der letzte anonyme Anlaufpunkt für Gespräche, die nicht nachvollzogen werden sollen? Geflüsterte Worte einsamer Seelen. Ich rufe bei der Bordell-Nummer an. Eine Frau geht ran. Sie stellt sich als „die Hausdame“ vor. Ich könne gleich vorbeikommen, dann könnte ich mir unter den Damen eine aussuchen. Sie hätten alles da: blonde, schwarzhaarige, dicke, dünne, ganz junge, etwas ältere, welche mit großen Brüsten und welche mit kleinen Brüsten. Ich könnte aber auch einen Termin direkt ausmachen und reservieren, wenn ich schon eine Favoritin hätte. Ich danke und lege auf. Die Visitenkarte lasse ich bei dir. Vielleicht kommt der Mann ja noch einmal zurück oder jemand anderes, der sie gebrauchen kann.
Auf einmal rüttelt mir jemand an der Schulter. Ich drehe mich um. Da steht ein bäriger Kerl mit Wut im Gesicht. „Was stalkst du meine Freundin? Stehst hier seit Stunden rum? Guckst immer wieder rüber.“ Er schubst mich.
Ich stolpere rückwärts. Ich will es ihm erklären, will ihm alles erzählen, vom einsamen Lehrer, von der alten Frau, doch er brüllt immer lauter. Ich ziehe meinen Presseausweis aus der Tasche. Halte ihn wie ein Schild vor mein Gesicht. Jetzt ist er endlich ruhig. „Das heißt, du willst gar nichts von meiner Freundin?“ Ich zeige ihm die Fotos meiner Kinder und meiner Frau. Komme mir vor wie in einem Kriegsfilm, da zeigen sie in den Gefechtspausen auch immer die Fotos ihrer Liebsten. Der Mann wirkt jetzt verlegen, entschuldigt sich, klopft mir auf die Schulter und geht zurück ins Café. Setzt sich zu einer Frau an den Tisch, zeigt auf mich und macht die Scheibenwischer-der-ist-doch-verrückt-Handbewegung vor seinem Gesicht.
Es ist dunkel, es ist mehr als spät, meine Füße sind Eisklumpen und ich habe Hunger. Dennoch fühlt es sich schäbig an, dich zu verlassen. Oh, meine Telestation. Du letzter Anker der Einsamen und Hoffnungslosen, wie schade,
dass ich dich nicht mal mehr anrufen kann. Diese Funktion haben sie einfach ausgestellt. Was wir alles besprechen könnten. Zum Abschied nehme ich noch einmal deinen Hörer auf. Höre deinen einsamen Klagetüt. „Grüß mir den Lehrer“, sage ich und lege auf.