Steigende Mieten: Aufbauhilfe für Genossen
Im Kampf gegen Wohnungsnot und steigende Mieten plant der Senat ein Millionenprogramm für genossenschaftliche Bauprojekte. Die staatliche Förderung könnte sich lohnen, denn das Modell hat sich bewährt – und findet Nachahmer.
Einen echten Coup hat die Linke diese Woche gelandet: Mitglieder der Bundestagsfraktion beteiligen sich am Bieterwettbewerb für die TLG und ihren 11 000 Wohnungen in den östlichen Bundesländern. Fraktionschef Gregor Gysi verkündete die Gründung einer neuen Genossenschaft, die nach den Restbestand der DDR-Wohnungen greift. Keine Kündigungen, soziale Mieten, weit reichende Mitspracherechte für Mitglieder, die mit einfacher Mehrheit sogar ihren Vorstand schassen können: Mit ihrer Satzung will die Linke ganz nebenbei auch noch neue Standards für „Partizipation“ setzen. Der pragmatische Vorstoß ist wegweisend für den Kampf um bezahlbare Mieten in Berlin.
Denn fast nirgendwo ist Wohnen günstiger als bei einer der 90 Berliner Genossenschaften. Die Durchschnittsmiete deren 182 000 Wohnungen liegt bei 4,60 Euro je Quadratmeter und Monat, wesentlich weniger als sonst üblich in Berlin laut Mietspiegel (5,21 Euro). Und seit der Finanzkrise sind Genossenschaften auch das Image der betulichen Sachwalter in die Jahre gekommener Quartiere: Sie gelten als Fels in der Brandung eines Wohnungsmarktes, in den das Kapital in rauen Mengen fließt und die Mieten treibt. Mit genossenschaftlichem Eigentum wird dagegen nicht spekuliert. Wer darin wohnt, ist fast unkündbar. Und für die Kapitaleinlage kassiert der Genosse sogar Zinsen – bis zu sechs Prozent. Deshalb will nun auch der Senat Genossenschaften fördern.
Immer wieder protestieren Berliner gegen steigende Mieten:
Einen „zweistelligen Millionenbetrag“ habe der Senat zur Förderung von Genossenschaften bei der landeseigenen Investitionsbank Berlin geparkt, sagt der Staatssekretär in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Ephraim Gothe (SPD). Mittes ehemaliger Baustadtrat misst diesem Geld eine „zentrale Bedeutung“ zu im Kampf gegen steigende Mieten und will es nutzen, um den Neubau ankurbeln. Weil Genossenschaften gerade „nicht nur im hochpreisigen Bereich“ bauen und Lofts und Townhäuser ohnehin schon reihenweise hochgezogen werden. Wohnraum für Familien und Alleinerziehende mit kleinen Einkommen fehlt dagegen.
Die Millionen sollen laut Gothe dazu dienen, „sehr günstige Kredite zur Finanzierung von Neubauten“ anzubieten. Als weitere „Stimulanz“ erwägt der Senat die Ausrichtung eines „Wettbewerbs nur für Genossenschaften“ sowie Konzeptausschreibungen für kostengünstige Baugrundstücke, die das Land für den Wohnungsbau bereitstellen will. Gothe hat dabei das „alternative Baugruppenmilieu“ im Auge. Aus seiner Zeit als Baustadtrat weiß er, wie quirrlig und motiviert diese Leute sind, die ohne Aussicht auf ein selbstbestimmtes und -gestaltetes Bauprojekt eher kein Wohnungseigentum erwerben würden – und könnten.
Während im rot-schwarzen Senat hinter den Kulissen noch heftig gestritten wird, wie viel die neue mieterfreundliche Politik kosten darf, zeigt die Wohnungsgenossenschaft Lichtenberg, wie es geht: Keine Mieterhöhungen mehr in den kommenden sechs Jahren – das freut das Genossenherz. Der Finanzmarkt machte das Mietenmoratorium für die meisten Wohnungen möglich: Die Zinsen am Kapitalmarkt sind auf ein Allzeittief gefallen. Das entlastet die Bilanz der Genossenschaft, die sich für die Sanierung der rund 10 000 Wohnungen verschuldet hatte. Außerdem „würden wir sonst zu viel Gewinn machen und noch mehr Steuern bezahlen“, sagt Vorstand Clemens Thurmann. Da habe man lieber die eigenen Mitglieder entlasten wollen.
Im Möckernkiez sollen 400 Wohnungen entstehen
Bauen würde die „WGLi“ genannte Genossenschaft auch gerne. Doch an landeseigene Grundstücke ist, allen politischen Willensbekundungen zum Trotz, schwer heranzukommen. Ein Antrag zur Übertragung landeseigenen Baulands liegt seit sechs Wochen beim Liegenschaftsfonds. „Der Bezirk unterstützt uns, die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung auch, aber die Finanzverwaltung blockiert“, sagt Thurmann. Dabei will er ungefähr 200 günstige Wohnungen in guter Lage nicht weit von Friedrichshain bauen.
Die WGLi will auch für das Grundstück bezahlen. „Aber nicht den vollen Verkehrswert“, sagt Thurmann. Zu wenig, aus Sicht der Finanzverwaltung, vermutet er: „Die unterschiedlichen Auffassung zwischen Finanzsenator Nußbaum und Bausenator Müller zur günstigen Vergabe von Grundstücken liegen noch sehr weit auseinander“. Wie berichtet hatte Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos; für SPD) der SPD-Fraktion eigene Vorschläge für die neue Liegenschaftspolitik unterbreitet. Demnach sollten die „Mindereinnahmen“, die sich aus der preisgünstigen Vergabe von Grundstücken ergeben, von der zuständigen Senatsverwaltung ausgeglichen werden. Käme es so, dann müsste Bausenator Müller (SPD) seine Strategie gegen die Wohnungsnot aus eigenen Ressortmitteln finanzieren.
Aber ganz gleich, ob der Senat seine Baupolitik durch Zinsrabatte oder Grundstücksgeschenke fördert, „mit Neubauten kann man Haushalte mit geringen Einkommen nicht bedienen“, sagt Thurmann. Mindestens 8,50 Euro je Quadratmeter und Monat Kaltmiete koste die Finanzierung einer neu gebauten Wohnung. Und so viel zahlen nur wenige. Die Durchschnittsmiete bei der WGLi liegt mehr als drei Euro niedriger. Und Geringverdiener können allenfalls die Hälfte der Kaltmieten von Neubauten aufbringen.
Wer es sich leisten kann, baut selbst. So wie die 1000 Kreuzberger Genossen, die Ende des Jahres die Grundsteinlegung für den „Möckernkiez“ am südlichen Rand des Gleisdreieckparks feiern wollen. Die zunächst belächelte, später behinderte und nun gelobte Initiative kam aus der Mitte des Quartiers und hat es fast geschafft: 400 Wohnungen, ein Hotel, Restaurants und Werkstätten werden gebaut. Mitglieder und Banken wollen dafür 90 Millionen Euro bereitstellen.
Jetzt haben sie schon das nächste Projekt im Blick: „Wir bewerben uns um die Dragoner Kaserne hinter dem Kreuzberger Rathaus“, sagt Gründungsmitglied Aino Simon. Der Bund verkauft das Bauland. Meistbietend. Dennoch sind die Genossen überzeugt: Wer das Grundstück nicht zu Spekulationszwecken kauft, wird das Angebot der Genossen kaum überbieten können. Förderungen, Hilfen oder Preisnachlässe hatten sie auch für den Erwerb des Grundstücks Möckernkiez nicht erhalten. Sie kauften es einer früheren Bahntochter ab, zum Marktwert.
Und welchen Rat geben die Pioniere unter den neuen sozialen Baugenossenschaften dem Senat? „Helft Alleinerziehenden oder Hartz-IV–Haushalten mit Startkapital aus“, sagt Simon. Denn die bringen die 40 000 Euro nicht auf, die als Anzahlung für eine 100-Quadratmeter-Wohnung nötig ist. In Darmstadt und München hilft die Stadt mit Kapitaleinlagen. Berlin sollte diesem Beispiel folgen.
Ralf Schönball