Lern- und Erinnerungsort Afrikanisches Viertel im Wedding: Auf Safari durch den Wedding
Im Afrikanischen Viertel im Wedding wurde einst der Kolonialismus gefeiert und der deutschen Eroberungen in Afrika gedacht. Jetzt gibt es das Projekt "Lern- und Erinnerungsort Afrikanisches Viertel", das eine "Dekolonialisierung" des Viertels anstrebt.
Togostraße, Sansibarstraße, Kongostraße – läuft man im Wedding durchs Afrikanische Viertel, fühlt man sich ein wenig, als wäre man auf Safari. Dabei sind die Straßennamen mehr als ein Verweis auf die exotische Tierwelt Afrikas.
Für Yonas Endrias sind es vor allem Symbole für ein altes koloniales und rassistisches Weltbild. Der aus Eritrea stammende Diplom-Politologe ist Koordinator des Projekts „Lern- und Erinnerungsort Afrikanisches Viertel“ (Leo). Er strebt, wie er sagt, „eine Dekolonialisierung“ des Viertels an: „Die negativen Nachwirkungen aus der Kolonialzeit müssen endlich geheilt werden.
Im Rehbergepark sollte im 19. Jahrhundert eine Völkerschau stattfinden
Togo- und Kongostraße sollten ursprünglich an das Bestreben des deutschen Kolonialismus erinnern, den afrikanischen Kontinent zu erobern und auszubeuten. Carl Hagenbeck, Zoodirektor und Völkerschauausrichter, plante Ende des 19. Jahrhunderts im Volkspark Rehberge, zwischen Müller- und Seestraße, eine Tier- und Völkerschau. Tiere und Menschen aus den damaligen deutschen Kolonien sollten im Park ausgestellt werden. Der erste Weltkrieg verhinderte Hagenbecks Pläne, doch die Straßennamen waren bereits vergeben.
Zwischen 1899 und 1958 wurden 25 Straßen und Plätze im Wedding nach afrikanischen Ländern, Städten und Flüssen, Kolonialstützpunkten und Kolonialherren benannt. Das Afrikanische Viertel im Wedding ist damit das größte Flächendenkmal zum deutschen Kolonialismus der Bundesrepublik. Einige Straßen tragen die Namen deutscher Kolonialherren wie die Lüderitzstraße, die zwischen Kongo- und Togostraße verläuft. Sie erinnert an den deutschen Kaufmann und Kolonialisten Adolf Lüderitz. Lüderitz erwarb als erster deutscher Landbesitzer 1883 ein großes Gebiet in Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia. Bereits 1885 war das gesamte Küstengebiet Deutsch-Südwestafrikas in seinem Besitz.
Das Afrikanische Viertel soll endlich "dekolonialisiert" werden
Yonas Endrias will, dass die Lüderitzstraße endlich umbenannt wird und nicht länger den Namen eines „kolonialen Ausbeuters“ trägt. Mit seinem Wunsch, das Afrikanische Viertel zu "dekolonialiseren" ist er nicht allein. Im Mai 2011 forderte die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) in Mitte das Bezirksamt auf, das Afrikanische Viertel zu einem Lern- und Erinnerungsort zu machen. Lernen und Erinnern solle man sich zukünftig an die Geschichte des deutschen Kolonialismus und an den Unabhängigkeitskampf der Afrikanischen Staaten.
Anfang 2013 stimmte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt einer Verwendung von finanziellen Mitteln aus dem Programm AktionsraumPlus für das Projekt Leo zu. Am 27. April fand daraufhin die Auftaktveranstaltung statt, an der 34 Organisationen und Institutionen wie etwa die Bibliotheken und das Schulamt Berlin-Mitte, der Bund für Antidiskriminierungs- und Bildungsarbeit e.V. und der Deutsch-Togoische Freundeskreis e.V. teilnahmen, die in das Projekt Leo involviert sind.
Weißler: "Kolonialismus ist Grund für den Alltags-Rassismus gegen Schwarze"
Bezirkstadträtin Sabine Weißler (Grünen) sagte in ihrer Eröffnungsrede, dass der europäische Kolonialismus tiefe Spuren hinterlassen habe und Grund sei für den heutigen Alltags-Rassismus gegen Menschen afrikanischer Herkunft. Yonas Endrias kann das bestätigen: „Schwarze sind noch immer besonders häufig Opfer von Gewalttaten“, sagt er und findet, dass die, wie er sagt, „Entmenschlichung“ während des Kolonialismus ein Grund dafür sei. „Dadurch, dass die Schwarzen damals dehumanisiert und als Untermenschen wahrgenommen wurden, macht sie das noch heute leichter angreifbar“.
Daher soll das Projekt Lern- und Erinnerungsort Afrikanisches Viertel nicht nur ein Erinnerungsort sein, sondern vor allem dem kolonialen und rassistischen Denken Einhalt gebieten.
Seit der Auftaktveranstaltung im April ist schon viel passiert. Es gibt regelmäßig stattfindende Führungen von Afrikanern und Afrodeutschen durch das Viertel und Vorträge und Lesungen zum Thema Rassismus gegen Schwarze. „Wir wollen mit unserem Projekt alle Menschen im Kiez erreichen“, sagt Endrias. Dazu gehört, dass Schulen, Kindergärten und Vereine vor Ort mit einbezogen werden. Im Juni 2014 findet erstmals eine Projektwoche in der Möwensee-Grundschule in der Afrikanischen Straße statt, in der afrikanische Künstler mit den Schulkindern basteln und kochen und ihnen von ihrer Kultur und Geschichte erzählen.
„Das Thema deutscher Kolonialismus wird bisher zu wenig in den Schulen thematisiert“, findet Endrias. Dabei sei es gerade im Afrikanischen Viertel wichtig, darüber Bescheid zu wissen, denn nirgendwo in Berlin leben heute so viele Afrikaner wie hier; rund 2500 sind es laut Statistischem Landesamt.
Es sind eine App, ein Afrikafestival und eine "Schwarze Bibliothek" geplant
Für 2014 haben Leo-Koordinator Yonas Endrias und Projektleiter Michael Weiß noch viele Ideen, die sie Mitte November auf einer Sitzung der BVV vorstellten. Es ist zum Beispiel eine App geplant, die es ermöglicht, das gesamte afrikanische Viertel digital zu erfassen. Bei einem Audiowalk können Besucher in den verschiedenen Straßen, Kommentare von Afrikanern zum Kolonialismus und Rassismus hören.
Außerdem soll es im Sommer 2014 ein Afrikafestival im Volkspark Rehberge geben; Spielplätze sollen durch afrikanische Künstler umgestaltetet und Bücherkisten zum Thema Afrika in öffentlichen Bibliotheken, Schulen und Kitas im Wedding ausgelegt werden. Auch eine eigene „Schwarze Bibliothek“ ist in Planung. Dort wird man sich Bücher aus dem Nachlass einer schwarzen Frau ausleihen können, in denen es um den Kolonialismus aus der schwarzen Perspektive geht.
„Wir haben in der kurzen Zeit seit April alles geschafft, was wir uns vorgenommen haben“, sagt Endrias und ist auch bei der Umsetzung der Pläne für 2014 optimistisch. „Irgendwann gelingt es uns auch noch, dass der U-Bahnhof Mohrenstraße endlich umbenannt wird.“
Dieser Artikel erscheint im Wedding Blog, dem Online-Magazin des Tagesspiegel.
Nora Tschepe-Wiesinger
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