Natur in Brandenburg: Auf Pilzsuche im Berliner Umland
In den meisten Brandenburger Wäldern sind in diesem Herbst kaum essbare Pilze zu finden. Unterwegs mit einem Experten, der die Hoffnung nicht aufgibt.
Die Bedingungen scheinen perfekt: Die Luft ist trüb, nasses Herbstlaub liegt auf dem Waldboden, es riecht nach altem Holz und feuchter Erde – und nach Pilzen. Wolfgang Bivour stapft mit seinem Korb und einem Taschenmesser zwischen den Kiefernstämmen durch das bemooste Unterholz und schaut sich etwas unglücklich um. Denn der wohlbekannte Duft trügt: Für den heimischen Kochtopf scheint es in dem kleinen Wäldchen zwischen Töplitz und Leest westlich von Potsdam heute keine Pilze zu geben.
„Es sieht sehr traurig aus“, sagt der 66-jährige Pilzexperte aus Satzkorn. „Man kann zwar etwas finden, aber es ist sehr mühsam, und man muss etwas Glück haben. Ein paar Freunde von mir haben letztens fast vier Stunden lang gesucht und haben am Ende nur 30 Maronen gefunden.“ Der Pilzberater hat jedes Jahr im Herbst einen Stand auf dem Wochenmarkt auf dem Bassinplatz in Potsdam, doch dieses Jahr habe er mit der Pilzberatung so spät angefangen wie noch nie, erst Mitte Oktober.
Das schlechteste Pilzjahr, das er bisher erlebt habe, sei 1999 gewesen, erinnert sich Bivour: „Aber ich glaube, dieses Jahr wird es noch schlechter.“
Beim Herumwandern zwischen feuchten Baumstämmen und Totholz wächst hier und da zwar etwas, doch nur in den seltensten Fällen ist es genießbar: Ein Falscher Pfifferling etwa, der zwar schön orange-gelb leuchtet, aber nicht so gut schmeckt wie sein Namensvetter. An einigen Stellen ist der Boden übersät von winzigen, nebelgrauen Pilzen wie dem Rostfleckigen Helmling oder auch giftigen Grünblättrigen Schwefelköpfen. „Es fehlt die Vielfalt“, konstatiert Bivour – zumindest für sein Revier. „Viele Pilzarten fehlen ganz, zum Beispiel findet man ganz wenig Täublinge. Auch Hallimasch habe ich noch nicht gesehen.“
Optimistisch bleiben und weitersuchen
Woran das liegt, ist schwer zu sagen: Der Sommer sei zu heiß und zu trocken gewesen sei, so Bivour, während es jetzt an Wärme fehle. Aber dies sei von Art zu Art unterschiedlich: Zum Beispiel habe er in diesem Jahr in Satzkorn so viele Wiesenchampignons gefunden wie noch nie, obwohl er diese Art in der Potsdamer Umgebung seit Jahrzehnten kaum gesehen habe.
Und zudem sei die Pilzsaison ja noch nicht vorbei, so lange es keinen Frost gebe: „Man kann auch noch im November Maronen finden und Steinpilze sogar noch zu Weihnachten“, sagt Bivour. „Das ist selten, aber möglich.“
Also optimistisch bleiben und weitersuchen. Hier und da sieht man einige Pilze, die von Tieren angeknabbert wurden. Dennoch sind Reh und Wildschwein keine große Konkurrenz für Pilzsammler: „Ich habe schon gesehen, dass Wildschweine den Boden aufgewühlt haben um nach Trüffeln zu suchen. Die Steinpilze, die an derselben Stelle standen, haben sie aber nicht angerührt“, berichtet Bivour. „Vielleicht mögen sie den Geschmack nicht.“
Bivour ist schon eine Weile durch den Wald gelaufen, plötzlich steht er vor einem Wildzaun. „Direkt dahinter stehen oft viele Maronen“, sagt er, doch heute sind auch dort keine zu sehen. „Hier ist es sehr vergrast, dahinten sieht es besser aus“, sagt Bivour und zeigt auf eine Senke, wo der Boden lichter ist.
Fliegenpilze sind zwar giftig, aber nicht tödlich
Wer selber auf die Suche gehen will, sollte sich vor allem an Kiefernwälder halten, so Bivour: „Durch Laubwälder kann man derzeit oft kilometerweit laufen, ohne einen Pilz zu sehen.“ Kiefernwälder hingegen seien regelrechte „Maronen-Plantagen“; Beelitz, Glindow, Bliesendorf oder Borkheide seien gute Gegenden dafür. „Die Maronen sind noch nicht abgegessen, das kann noch kommen.“ Auch Champignons könne man finden, besonders auf Wiesen und Viehweiden, ebenso wie den Ackerschirmpilz, der dem Parasolpilz ähnelt, aber kleiner ist.
Trotz der mageren Ausbeute: Mittlerweile hat sich Bivours Korb mit einigen Pilzen gefüllt. Bis auf ein paar schmackhafte Parasol- und Butterpilze sind aber ausschließlich giftige oder ungenießbare Pilze dabei, die Bivour nur zu Demonstrationszwecken dazugelegt hat. Allerdings: Die prächtigen Fliegenpilze sind zwar giftig, aber nicht tödlich, wie oft geglaubt wird. „In Sibirien wurden sie früher lange als Rauschmittel für religiöse Zwecke verwendet“, sagt Bivour.
„Pilzprognosen sind noch schwerer als Wetterprognosen.“
Nach der Wende hätten auch einige Hippies den Fliegenpilz für sich entdeckt, um in einen psychedelischen Rausch zu gelangen. „Aber mittlerweile bevorzugen die eher Spitzkegelige Kahlköpfe, die hier sehr selten sind, aber die man in Holland kaufen kann. In Deutschland sind sie illegal.“ Er selber habe solche Pilze noch nie gekostet, auch eine Vergiftung hat sich der Pilzexperte bislang noch nie zugezogen.
Inzwischen steht Bivour wieder am Waldesrand und macht sich auf den Rückweg. Doch da entdeckt er plötzlich direkt am Weg eine kleine Wiese, auf der unter einer kleinen Birke eine riesige Fliegenpilz-Kolonie mit feuerroten Schirmen steht. Hier könnte noch mehr sein, und tatsächlich: Nur wenige Meter entfernt stehen etliche Butterpilze zwischen den nassen Grasbüscheln. Bivours Korb füllt sich. Was die Frage „Abschneiden oder Herausdrehen?“ betrifft, ist er gelassen: „Das ist für die Pilze eigentlich egal.“
Für Pilzfreunde besteht also noch Hoffnung, zumal es aktuell wieder milder ist. Das könnte das Angebot verbessern. Doch Bivour ist vorsichtig mit Vorhersagen: „Pilzprognosen sind noch schwerer als Wetterprognosen.“
Tipps für Pilzsammler
TIPPS FÜR SAMMLER
Die Hauptsaison für Pilze ist im September und Oktober, kann aber auch länger dauern, so lange es keinen Bodenfrost gibt. Am besten sollte man nur Pilze sammeln, die man sicher kennt. Pilze dabei abschneiden oder herausdrehen, damit das Myzel-Geflecht im Boden nicht beschädigt wird. Transportieren sollte man Pilze in einem Korb, denn wenn sie wenig Sauerstoff bekommen oder gedrückt werden, verderben Pilze schneller. Zu Hause sollte man Pilze möglichst schnell verarbeiten, am besten noch am selben Tag.
Allerdings darf man nicht einfach drauflossammeln: Laut Bundesartenschutzgesetz dürfen geschützte Arten wie Steinpilze, Rotkappen, Morcheln und Pfifferlinge nur in geringen Mengen zum eigenen Bedarf gepflückt werden, also für ein bis zwei Mahlzeiten (für nicht geschützte Arten wie Maronen gilt das nicht). Wer zum Beispiel kiloweise Steinpilze aus dem Wald holt, kann mit einem Bußgeld bis zu 5000 Euro bestraft werden. Die genaue Höchstmenge ist aber von Kommune zu Kommune unterschiedlich. Arten wie Trüffel oder Kaiserling dürfen gar nicht gesammelt werden.
Auch gewerbliches Verkaufen heimischer Pilze ist ohne Erlaubnis des Waldbesitzers und ohne Gewerbeanmeldung nicht erlaubt. Bei Verdacht auf Pilzvergiftung (z. B. bei Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall oder Schweißausbrüchen) sofort den Rettungsdienst rufen! Symptome können auch erst Stunden nach der Mahlzeit auftreten.
GEHEIMTIPP FLÄMING
Die aktuelle Pilzsaison scheint in ganz Berlin und Brandenburg schwach zu sein – mit einer bedeutenden Ausnahme: im Hohen Fläming entlang der Grenze zu Sachsen-Anhalt gibt es massenhaft Maronen und lokal auch Steinpilze. Insbesondere Maronen müssen dort zurzeit nicht gesucht, sondern nur gesammelt werden, was in Nadelwald ohne Laub auf dem Boden besonders komfortabel ist. „Wir sind immer schon eine gute Pilzecke gewesen, aber diesmal konzentriert es sich hier wirklich ganz besonders“, hieß es am Sonnabend im Familienhotel Brandtsheide bei Wiesenburg.
Das gelte etwa für einen Umkreis von 10 bis 15 Kilometern. „Mit den Steinpilzen hat es ein bisschen nachgelassen, aber Maronen gibt es immer noch sehr viele.“ Und die Steinpilze könnten ja noch mal nachlegen, „wenn jetzt wieder zunehmender Mond ist und das Wetter passt“, sagt die Chefin und fügt hinzu, sie kenne die Rahmenbedingungen nicht genau, „ich bin ja kein Pilz“.
PILZKENNER WERDEN
Im Lehrkabinett Teufelsee (Ost) gibt es zurzeit eine Pilzausstellung mit Beratung. Sie ist nur noch am nächsten Sonntag, 6. November, 10 bis 16 Uhr, geöffnet. (Müggelheimer Damm 144, Bus X 69 bis Rübezahl bzw. dort parken und ca. 10 Minuten laufen).