Streit um Gerichtspräsidenten am Berliner Landessozialgericht: Auf die lange Richterbank geschoben
Seit 2014 hat das Landessozialgericht keinen Präsidenten. Erst blockierte der Justizsenator, jetzt legte der Regierende Bürgermeister sein Veto ein.
Seit Anfang 2014 ist das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg in Potsdam ohne Präsident. Nun verzögert sich die Besetzung erneut – diesmal wegen parteipolitischer Ränke im Senat, die Abgeordnetenhauswahl wirft ihre Schatten voraus. Ursprünglich sollte der Richterwahlausschuss nach langer Hängepartie am 2. März eine neue Gerichtsspitze wählen. Berlin und Brandenburg hatten sich sogar schon geeinigt: Martin Karl Ernst Estelmann sollte es werden. Er kommt vom Bundessozialgericht. Doch nun wird es wieder nichts. Der Tagesordnungspunkt im Richterwahlausschuss entfällt. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) hat ein Veto eingelegt. Nachdem das rot-rote Brandenburger Kabinett nach längerem Ringen Estelmann zugestimmt hatte, liegt die Sache seit Wochen in der Berliner Senatskanzlei, einen Senatsbeschluss wird es vorerst nicht geben. Dabei hat Estelmann im Vergleich zu den Mitbewerbern bisher das höchste Amt und die besseren Bewertungen – und müsste daher genommen werden.
Zuerst habe sich der Berliner Justizsenator gesperrt, heißt es
Die Vorgeschichte: Ende 2013 ging Gerichtspräsidentin Monika Paulat in Pension. Aus dem ersten Bewerbungsverfahren um die Nachfolge ging Sabine Schudoma, Präsidentin des Sozialgerichts Berlin, des größten in Deutschland, als Favoritin hervor. Brandenburg stimmte zu. Doch Berlins Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) – so heißt es intern – sperrte sich, weil Schudoma als SPD-nah gilt. Anfang 2015 teilte Heilmann dann der Richterschaft mit, dass er sein Einvernehmen ausdrücklich verweigert. Obwohl das gesamte Verfahren beendet war, setzte er es erneut in Gang. Und er brachte eine neue Bewerbung ins Spiel: die von Estelmann, angeblich wegen seiner CDU-Nähe, wie Justizkreise, Brandenburgs Landesregierung und die SPD Heilmann vorwarfen. Er soll angeblich sogar aktiv gesucht haben, um Schudoma zu verhindern. Aus dem Umfeld des Senators hieß es damals nur, Heilmann habe das Verfahren gerettet, wegen Verfahrensfehlern in Brandenburgs hätten Konkurrentenklagen gedroht. Mit dem damaligen Verfahren befasste Juristen sprechen noch heute von einer Ausrede. Nun schickte Heilmann im Januar seinen neuen Personalvorschlag für Estelmann an die Senatskanzlei – mit der Bitte um eilige Behandlung im Senat, weil der gemeinsame Richterwahlausschuss im März tagt. Offenbar, so heißt es aus der Justiz, habe Heilmann sein Vorgehen zuvor nicht ausreichend kommuniziert. Der Senator habe versagt, heißt es von Sozialrichtern. „Er wollte mit dem Kopf durch die Wand und ist daran böse abgeprallt“, sagte einer, der sich auskennt.
Die Sozialgerichte fürchten nun, dass der Regierende nur nach Parteibuch handeln wird
An den Sozialgerichten wird nun befürchtet, dass Müller seinerseits die von Heilmann in Gang gesetzte Personalpolitik nach Parteibuch in die andere Richtung fortsetzt. Und das, obwohl der Richterrat der Sozialgerichte sich für Estelmann ausgesprochen hat. Zudem sei es, so heißt es in der Justiz, bemerkenswert, dass selbst Rot-Rot in Brandenburg sich für ihn trotz seiner CDU-Nähe entschiedenen habe – vor allem, um die Hängepartie endlich zu beenden. Zur Erinnerung: 2012 war Schudoma auf Vorschlag der Sozialdemokraten zur Präsidentin des Berliner Verfassungsgerichts gewählt worden. Im Dezember wurde Bernd Pickel, der als CDU-nah gilt, zum Präsidenten des Kammergerichts ernannt. Geht es also in der Senatskanzlei am Ende nur um die Frage, ob die SPD der CDU noch eine wichtige Personalie überlassen will? Das vermuten einige. Kolpotiert wird sogar, Schudoma könnte nun wieder im Rennen sein, wenn es gelänge, die Sache in die nächste Legislatur nach der Abgeordnetenhauswahl im September zu schleppen.
Die Richter sind längst verärgert über die Lage
„Hier wird auf dem Rücken der Justiz parteipolitisches Gezänk ausgetragen“, sagt der grüne Rechtspolitiker Dirk Behrendt. „Es kann nicht sein, dass wir dreijährige Vakanzen haben.“ Tatsächlich läuft es nun darauf hinaus, denn der Richterwahlausschuss der beiden Länder tagt nur selten; der Präsidentenposten kann wahrscheinlich nicht mehr in diesem Jahr besetzt werden. Beim Landessozialgericht rechnet niemand mehr damit. Dann wäre das Gericht drei Jahre ohne Präsidenten, sondern nur kommissarisch geführt durch den Vizepräsidenten, dessen Verhandlungsposition gegenüber dem Senat in Berlin und dem Justizministerium in Potsdam deutlich schwächer ist als die eines Präsidenten. Aus der Richterschaft hieß es, die Politik missachte mit ihrem Vorgehen die Justiz. Unter den Richtern des Landessozialgerichts herrsche „größter Unmut“ über die Lage. Das Gericht werde künstlich klein gehalten. Obwohl sich an den Sozialgerichten in der Region riesige Aktenberge stapeln, kann die Politik in dieser Lage Forderungen nach mehr Personal leicht abbügeln.