Sozialstrukturatlas in Berlin: Arm bleibt arm – und stirbt früher
Berlins Spaltung verfestigt sich - Arme in Randlagen, Wohlhabende in Zehlendorf, Charlottenburg und zunehmend in Pankow. Das geht aus dem Sozialatlas 2013 hervor. Mit gezielter Prävention will Senator Czaja die Gegensätze verringern.
Es ist eine der umfangreichsten Datensammlungen bundesweit, Politiker anderer Städte beneiden den Sozialsenator um diese Zahlen. Und so konnte Mario Czaja (CDU) einen gewissen Stolz nicht verbergen, als er am Freitag den Sozialstrukturatlas 2013 vorstellte. Insgesamt gibt es mehr als 1000 Tabellen und Grafiken.
Fazit
Die meisten Kieze mit günstiger Sozialstruktur haben sich weiter verbessert, die Gegenden mit ärmeren, weniger gesunden Bewohnern verschlechtert. Vor allem Pankow und Friedrichshain sind aufgestiegen, Spandau ist abgerutscht, Neukölln wieder Schlusslicht. Viele Ausgangsdaten der Studie stammen allerdings von 2011, die rasante Entwicklung im Neuköllner Norden – in den zunehmend Akademiker ziehen – wurde nicht voll abgebildet. Zugespitzt gilt: Wer arm ist, hat meist weniger Bildung, wird öfter krank und stirbt früher.
Besonderheiten
Auffällig ist, dass ärmere und reichere Viertel oft nur wenige Schritte nebeneinander liegen. Beispiel Altglienicke: Viele der 27 000 Einwohner des Stadtteils im Treptower Süden wohnen in Ein- oder Zweifamilienhäusern, die Gegend gilt als sozial stabil und wird weitgehend mit der Indexstufe 2 belohnt – besser schneiden in der Fläche nur Zehlendorf und Charlottenburg ab.
Wenige Meter von dem mit „2“ eingestuften Viertel gibt es aber einen Ausreißer, ein paar Blöcke, deren Bewohner deutlich vom Schnitt abweichen: Das sind die Plattenbauten rund um die Venusstraße, die in der Grafik wie ein roter Eckzahn von Süden in die Stadt hineinragen. Die Menschen, die dort wohnen, haben offenbar weniger gute Abschlüsse, schlechter bezahlte Jobs und eine anfälligere Gesundheit. Also gaben die Statistiker dort nur eine „7“ – und Altglienicke insgesamt nur noch eine „3“.
Reaktion
Der Senator kündigte an, Stadtteilzentren zu stärken und die Zahlen für den nächsten Krankenhausplan zu nutzen: Dabei wird entschieden, wo für welche Krankheiten mehr Betten benötigt werden. Czaja will auch die bessere Verteilung von Praxen fortsetzen. Kinder- und Hausärzte dürfen sich seit 2013 nur noch dort niederlassen, wo sie aus sozialen Gründen gebraucht werden. Dies soll künftig für 18 andere Facharztgruppen gelten. Kenner hatten vor allem eine bessere Verteilung von Psychotherapeuten gefordert: Viele residieren in Charlottenburg, wenige in Marzahn – sozialpolitisch gesehen müsste es umgekehrt sein.
Die Daten sollen auch den Senatsverwaltungen für Stadtentwicklung, Bildung und Arbeit helfen, Entscheidungen zu treffen. Czaja sprach Wohnraum in der Innenstadt an, den sich auch Einkommensschwächere leisten können sollten. Anderenfalls drohe eine Armutskonzentration in Randlagen – wie man sie etwa in Spandau beobachten könne. Die Grünen im Abgeordnetenhaus forderten den SPD-CDU-Senat auf, einen runden Tisch zur Verbesserung der sozialen und gesundheitlichen Lebenssituation einzurichten.
Erfolge
Sechs Atlanten hat der Senat seit 1990 herausgegeben, der aktuelle ist am umfassendsten. Als Erfolg der vergangenen Jahre nannte Gerhard Meinlschmidt, Czajas zuständiger Fachbereichsleiter, die steigende Lebenserwartung, die fast den Bundesdurchschnitt erreiche. Auch nähmen sozialversicherungspflichtige Jobs in Berlin zu. Das Bildungsniveau liege über dem Bundesschnitt.
Vorgehen der Statistiker
In 419 Gebiete hatten Statistiker die Stadt aufgeteilt, die Zahlen zu diesen Nachbarschaftsräumen gelten also je für rund 7500 Menschen. Sie sind aussagekräftiger als Zahlen zu den Bezirken mit Hunderttausenden Bewohnern.
Aus 66 Einzelindikatoren hatten Czajas Fachleute einen Index bilden lassen. Nicht in jedem Wohnblock waren alle diese Indikatoren abrufbar, doch selbst für die kleinsten Planungsräume wurden noch 36 Faktoren ausgewertet, etwa Einkommen, Bildungsstand, Arbeitslosenquote, aber auch Zahlen zu vorhandenen Erkrankungen oder Rauchgewohnheiten. Die Daten kamen von Einwohnerregistern, Jobcentern und Mietspiegeln. Anders als beim letzten Sozialatlas sind die Daten der Einschulungsuntersuchungen und die Pflegebedürftigkeit unter Sozialleistungsempfängern hinzugenommen.
Einen Kommentar dazu lesen Sie hier.
Den gesamten Sozialatlas lesen Sie hier.
Hannes Heine
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