Eltern wehren sich: Ärger um beengte Klassenzimmer an Berliner Schulen
Unterricht im Container, Lehrerzimmer im Keller: An Berlins Schulen wird es immer enger. Eltern und Schüler sind wütend – von Pankow bis Steglitz - und fordern, dass die „Käfighaltung für Schüler verboten werden müsste“.
Hortbetreuung auf dem Flur, Lehrerzimmer im Keller und Unterricht in drangvoller Enge: Der Senat senkt schleichend seine Ansprüche an die räumlichen Gegebenheiten von Schulen, um die steigenden Schülerzahlen bewältigen zu können. Das berichten übereinstimmend Bildungsstadträte aus den betroffenen Bezirken. Die Schulen haben deshalb immer weniger Platz trotz steigender Herausforderungen durch Inklusion, schwierige Schüler und Jahrgangsmischung. Landeselternsprecherin Lieselotte Stockhausen-Döring spricht von einem „Trauerspiel“ und findet, dass „Käfighaltung für Schüler verboten werden müsste“.
Eigentlich hat der Senat sehr genaue Vorstellungen davon, was Schulen bieten müssten, um ihren Aufgaben bei der Förderung, Betreuung und beim Unterricht gerecht zu werden. Im „Musterraumprogramm“ ist all das erfasst. Allerdings gilt dieses Programm nur für Neubauten, wie Reinickendorfs Bildungsstadträtin Katrin Schultze-Berndt (CDU) in einem Gespräch mit Bildungsstaatssekretär Mark Rackles (SPD) erfuhr. Sie wurde deshalb angehalten, in die vorhandenen Schulen mehr Schüler aufzunehmen, als ihr richtig erscheint. Auf diese Weise wollte Rackles verhindern, dass die Europa-Grundschule aus dem Märkischen Viertel an den Stadtrand verdrängt wird.
Pankows Bildungsstadträtin Lioba Zürn-Kasztantowicz (SPD) hat dieselbe Erfahrung gemacht. In ihrem schnell wachsenden Bezirk fehlen massenhaft Schulplätze. Auch ihr sei vom Senat „deutlich gemacht“ worden, dass sie sich nicht allzu sehr an die Idealvorgaben des Musterraumprogramms zu halten habe.
Die Bildungsverwaltung sieht darin kein Problem. Die Vorgaben seien nur für Neubauten verbindlich. In den vorhandenen Schulbauten seien sie als „Empfehlung“ gemeint, stellt Sprecherin Beate Stoffers klar. Es sei durchaus möglich, „ohne jegliche Verschlechterung der pädagogischen Arbeit“ auch mit weniger Räumen auskommen.
Die Eltern sehen das allerdings anders. In mehreren Bezirken formiert sich Widerstand gegen die beengten Verhältnisse. So wurden am Dienstagabend im Rathaus Zehlendorf 3448 Unterschriften gegen die „Überbelegung“ der Quentin- Blake- und der Biesalski-Schule am Hüttenweg überreicht. Hier sehen die Eltern Musik- und Horträume sowie mühevoll hergerichtete Besonderheiten wie die Englische Bibliothek in Gefahr.
In Steglitz sind Eltern entsetzt darüber, dass die Lernanfänger der Hünefeld- Schule in Containern untergebracht werden sollen, weil ihre neuen Räume an der Markus-Schule nicht rechtzeitig fertig wurden: Durch die Weigerung des Senats, der Kopernikus-Schule einen Neubau zu errichten, geriet die gesamte Planung durcheinander. Und in Reinickendorf sollen jetzt drei Schulen zusammenrücken, weil das Märkische Viertel keinen Neubau bekommen soll. Den älteren Schülern der Lauterbach-Förderschule droht sogar der Umzug in einen anderen Stadtteil. Noch dramatischer ist aber die Lage in Pankow. Hier muss eine komplette Schule aus Containern gebaut werden, weil die Zeit für einen Neubau nicht reicht. An weiteren sechs Standorten sollen einzelne Container die Engpässe überfinden helfen.
„Man muss sich nicht wundern, dass die Jahrgangsmischung abgeschafft wird, wenn die Schulen keine Teilungsräume haben“, findet Landeselternsprecherin Stockhausen-Döring. Und sie fragt sich, wie unter solchen Bedingungen die Inklusion klappen kann, bei der es doch wichtig sei, dass verhaltensauffällige Schüler oder Schüler mit Lernschwierigkeiten auch mal in einen Extraraum gefördert werden könnten.
Bevölkerungsprognose: 64 000 Schüler zusätzlich bis 2030.
Die Zahlen
Die aktuellen Bevölkerungsprognose des Senats besagt, dass die Schülerzahl bis 2020 um knapp 12 000 steigen wird – und zwar zunächst nur an den Grundschulen. Dies bedeutet, dass bald auch die Oberschulen erheblich ausgebaut werden müssen, wenn die Grundschüler älter geworden sind. Bis 2030 werden sogar 64 000 Schüler mehr erwartet – ein Plus von 20 Prozent gegenüber 2012.
Die Bezirke
Am stärksten betroffen ist Pankow mit einem Bevölkerungszuwachs von über 16 Prozent bis 2030. Da vor allem junge Familien zuziehen, fehlen hier die meisten Schulen. Auch Marzahn-Hellersdorf und Lichtenberg wachsen stark. Hier werden vor allem stillgelegte Gebäude reaktiviert, die wegen des extremen Schülerrückgangs nach der Wende nicht benötigt wurden. Allein Lichtenberg nimmt bis 2017 fünf „alte“ Schulen wieder in Betrieb. Offen ist die Frage, ob die Deutsch-Russischen Europaschüler aus Karlshorst verdrängt werden müssen, um Platz für Regelschüler zu schaffen.
Die Lösungen
Im Idealfall können die Bezirke den Bedarf decken, indem sie rechtzeitig Neubauten geplant haben. Allerdings ist dafür ein rund fünfjähriger Vorlauf nötig. Es passiert immer wieder, dass beantragte Neubauten von der Investitionsliste gestrichen werden. In solchen Fällen läuft es darauf hinaus, dass kostspielige Container zur Überbrückung aufgebaut werden. Andernfalls müssen die Schüler zusammenrücken.
Andere Baustellen
Nicht nur der Schülerzuwachs erfordert bauliche Investitionen, sondern auch die Inklusion, der Brandschutz und der Sanierungsstau. Es fehlt über eine Milliarde Euro.
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