Mitte: Ärger über Touri-Rummel am Checkpoint Charlie
Senatsvertreter empören sich über Pseudo-Soldaten, die gegen Geld für Touristenfotos posieren. "Wo viele Menschen sind, ist auch Kommerz", beschwichtigt dagegen Parlamentspräsident Momper.
„Eins, zwei, drei: Cheese!“ Und wieder knipsen die beiden uniformierten Männer ein freundliches Lächeln an. Noch schnell die Hände um die Hüften des zahlenden Touristen gelegt, Köpfe in die Bildmitte geneigt und fertig ist das vorzeigbare Urlaubsfoto mit historischem Touch von der Reise nach Berlin. Kaum hat es geklickt, wird kassiert und – Schalter aus – die Gesichter der Grenzsoldaten werden wieder mürrisch. Hier am Checkpoint Charlie posieren sie, der eine mit schilfgrüner Uniform als US-Marine verkleidet, daneben ein „französischer“ Kollege, etwas kleiner und braun gebrannt. Die Szene soll authentisch wirken, beide halten stolz ihre Flaggen in die Höhe. Doch ein Detail stört: An ihren Gürteln hängt unübersehbar ein Schild, auf dem in großen Lettern steht: „Foto: 1 Euro.“ Und darunter, etwas kleiner: „1 Euro pro Person.“
Zur gleichen Zeit sitzt im Abgeordnetenhaus der Gedenkstättenreferent des Senats, Rainer Klemke, vor einer Journalistenrunde und gibt seine Erkenntnisse zum Checkpoint Charlie wieder: „Wir haben massenhaft Beschwerden aus aller Welt, wie die Leute angebaggert werden.“ Touristen würden regelrecht zum Bezahlen von Fotos genötigt, wenn einer der Uniformierten darauf sei – obwohl die Leute eigentlich nur den Kontrollpunkt fotografieren wollten.
Mandy Birnie am Checkpoint Charlie findet es jedenfalls „okay“, dass sie fürs Souvenir zahlen muss. Die 19-Jährige lässt sich mit ihren Freundinnen Linda und Victoria ablichten. Umrahmt von den beiden grinsenden Grenzsoldaten setzen die drei Schottinnen ihr strahlendstes Lächeln auf. „Auch die Jungs hier brauchen einen Job“, sagt Mandy, wenn sie auch findet, dass ein Euro pro Foto angemessener wäre als einer für jeden, der drauf ist.
Dieter Bär aus Nürnberg lobt das Angebot: „Ist doch klar, dass man bezahlen muss, die Männer haben sich in Uniform gekleidet und warten auf Kundschaft. Das ist eine ganz normale Dienstleistung.“
Wie normal diese Dienstleistung ist, wird offenbar sehr unterschiedlich empfunden. Der frühere Kultursenator Thomas Flierl (Linke) hatte am Wochenende von einer „bisher einseitig touristisch- kommerziellen Orientierung“ an dem Grenzübergang gesprochen, die „problematisch und geschmacklos“ sei. Aus dem Treiben der Pseudo-Soldaten könne kein Mensch mehr erkennen, „wer hier eigentlich auf welcher Seite stand“.
Parlamentspräsident Walter Momper (SPD) sitzt bei der Pressekonferenz am Montag neben dem Gedenkstättenreferenten – und teilt dessen Empörung nicht: „Wo viele Menschen sind, ist auch Kommerz.“ Die weitaus meisten Besucher – in manchen Stunden mehr als 1000 – interessierten sich für die Dokumentation, und als Randerscheinung sei der Kommerz zu verschmerzen. „Es muss auch jemanden geben, der VP-Mützen verkauft“, findet Momper.
Klemke dagegen legt nach: Eine „historische Fälschung“ seien die Darsteller, wenn sie obendrein in Uniformen der Volkspolizei (VP) oder der russischen Armee aufträten. Beide hätten am Checkpoint nie Dienst getan. Um den Rummel zu unterbinden, befinde sich der Senat „in einem mittlerweile ziemlich harschen Briefwechsel mit dem Bezirksstadtrat Doktor Beckers, der das offenbar in Ordnung findet“. Peter Beckers (SPD), fürs Ordnungsamt zuständiger Stadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, sagt, als er die Geschichte von den kassierenden „Soldaten“ hört: „Das ist nicht erlaubt. Wir müssen noch mal mit denen reden.“ Als Ausweg schwebt ihm vor, die Foto-Soldaten ein Stück entfernt auf einem Privatgrundstück unterzubringen, um so Konflikte direkt am Checkpoint zu vermeiden.
Klemke, der Mann vom Senat, sieht das Bezirksamt Mitte als Vorbild, das einen ähnlichen Zauber am Brandenburger Tor erfolgreich eingedämmt habe.
Einig sind sich die Beteiligten offenbar über die Gründung einer „Stiftung Berliner Mauer“: Anfang September soll der Kulturausschuss des Parlaments ein Gesetz auf den Weg bringen, so dass die aus Mitteln von EU, Bund und Lottogeldern getragene Stiftung im November gegründet werden könne. „Die Gedenkstätte Berliner Mauer bekommt damit die rechtliche Form, die ihrer Bedeutung angemessen ist“, sagte Manfred Fischer, der dem heutigen Verein vorsteht. Die Stiftungsform soll dem Verein die Möglichkeit eröffnen, einen 1,3 Kilometer langen Abschnitt der Mauerbrache an der Bernauer Straße zu kaufen, um Gedenkstätte und Dokumentation zu erweitern. Zum 50. Jahrestag des Mauerbaus, am 13. August 2011, soll alles fertig sein.