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Angstecken. Architektin Ingrid Hermannsdörfer berät die Berliner Polizei, wie man Orte wie den Alexanderplatz in Mitte durch städtebauliche Veränderungen sicherer machen kann.
© Kai-Uwe Heinrich

Beratung für die Polizei: Architektur gegen die Angst

Die Polizei will künftig einbezogen werden, wenn Plätze und Parks umgestaltet werden Im Präsidium arbeitet jetzt eine Architektin daran, dass Berlins dunkle Ecken wieder sicherer werden.

Ingrid Hermannsdörfer ist Architektin, aber auf ihrer Visitenkarte prangt der Berliner Polizeistern neben der Berufsbezeichnung „Städtebauliche Kriminalprävention“. Das klingt nach Flutlicht und Kameras an jeder Ecke. Doch in der Fotosammlung, die Hermannsdörfer auf dem abgewetzten Tisch ihres Büros im Polizeipräsidium ausbreitet, dominieren andere Gesichtspunkte.

Da ist zum Beispiel der dunkle Hausflur, in den ein noch dunklerer seitlicher Gang mündet. So sieht ein „Angstraum“ aus – selbst wenn in dem Flur noch nie jemandem ein Haar gekrümmt wurde. „Ein Spiegel gegenüber dem einmündenden Gang würde helfen“, sagt Hermannsdörfer. Und Licht. Das täte auch der Unterführung auf dem nächsten Foto gut: ein Weg unter zwei bedrückend tiefen und beschmierten Bahnbrücken. Dahinter knickt er ab und verschwindet im Dickicht eines Parks. Unterführung beleuchten und Hecke zurückstutzen, empfiehlt die Architektin. Und vor allem: die Graffiti beseitigen. „Es ist wichtig, Verfallserscheinungen entgegenzuwirken“, sagt sie und lobt die Strategie jener tüchtigen Hausmeister, die nächtliche Schmierereien gleich am nächsten Morgen tilgen. Entscheidend sei das Signal, dass sich jemand kümmere.

Und die Polizei will sich künftig mehr kümmern. Bei der Umgestaltung von Straßen und Plätzen, bei Neubauten und städtebaulichen Wettbewerben soll das Präsidium zuvor um Rat gefragt werden und Stellungnahmen abgeben. „Wir wollen Schwachstellen in der Sicherheit entdecken und Lösungen vorschlagen“, sagt Tanja Knapp von der Präventionsabteilung des Landeskriminalamtes.  Im Verkehr sei die Polizei schon immer selbstverständlicher Ansprechpartner in Fragen der Sicherheit. Dies müsse auch bei Stadtplanung und Architektur „selbstverständlich“ werden. Berlin sei bei dem Thema „bundesweiter Vorreiter“. Vorgeschrieben ist die Beteiligung der Polizei noch nicht, langfristig sei dies aber sinnvoll, sagt die Kriminaloberrätin.

Architektin Ingrid Hermannsdörfer.
Architektin Ingrid Hermannsdörfer.
© Kai-Uwe Heinrich

Die offizielle Premiere für die Polizei war der Olivaer Platz in Wilmersdorf, dort verschwinden demnächst Mauern mit Nischen und hohe Hecken, die nur für Trinker attraktiv waren und die freie Sicht behinderten. Mittlerweile hat das Präsidium für die Nachnutzung der Flughäfen Tempelhof und Tegel Vorschläge vorgelegt, sich an der Umgestaltung des Leopoldplatzes und des Nauener Platzes in Wedding beteiligt und Tipps für die geplanten Verschönerungen am Alexander- und Hermannplatz gegeben. Als nächstes stehen der Innsbrucker Platz, längerfristig auch der Ernst-Reuter-Platz auf dem Prüfstand. Geht es um Sicherheit, spielt vor allem in den Parks das Licht eine wesentliche Rolle. Deshalb werden seit Kurzem die Hauptwege im Görlitzer Park in Kreuzberg nachts ausgeleuchtet, demnächst steht das Lindenufer in Spandau an.

Vor einem Jahr hat Hermannsdörfer bei der Polizei angefangen. Zwar sind die Beamten schon lange an Planungen und Runden Tischen für Orte wie den Alexanderplatz beteiligt, aber erst dank der Architektin können sie mit Stadtentwicklungsverwaltung, Bezirksämtern und Landschaftsplanern auf Augenhöhe verhandeln. Hermannsdörfer sagt, sie sehe dieselben Probleme wie die Polizisten, aber als Architektin auch andere Lösungen. In dreitägigen Fortbildungen schult sie Kollegen in den Polizeiabschnitten.

Dabei zeigt sie auch, was passiert, wenn sich niemand kümmert: Die in den 80er Jahren in den USA entwickelte „Broken-Windows-Theorie“ besagt, dass ein kaputtes Fenster in einem leerstehenden Haus der Anfang vom völligen Niedergang einer Ecke sein kann. Kürzlich haben niederländische Wissenschaftler die Theorie durch Versuche erneut belegt. Für den Berliner Alltag bedeutet sie: Wo schon ein paar Fahrradleichen vor sich hin gammeln, ist auch der eigene Drahtesel eher in Gefahr. Dass erkannt nicht gebannt heißt, sieht man vor dem Präsidium: Dort sind zwei der nur zehn Ständer seit Langem durch Rosträder blockiert. Dies sei wie auch Graffiti „ein Signal dafür, dass es hier keine soziale Kontrolle“ gibt. Und es gebe wissenschaftlich erwiesen „einen Zusammenhang zwischen Verwahrlosung und Kriminalität“.

Dies zeige das Beispiel Hermannplatz, der von einer größeren Gruppe Trinker genutzt werde. Daraus resultieren Pöbeleien und Körperverletzungen, und damit sei das Thema „polizeilich relevant“ – und Aufgabe für Hermannsdörfer. So musste am Leopoldplatz die Trinkerszene kürzlich in eine abseits gelegene Ecke umziehen. Auf dem Platz selbst können sich nun wieder „die Menschen wohlfühlen“. Sinngemäß formuliert Hermannsdörfer: Wo rechtschaffene Menschen aus Sorge vor Gelichter nicht mehr hingehen, lässt sich das Gelichter dann tatsächlich nieder – weil es von eben jenen Passanten unbehelligt bleibt. Soziale Kontrolle durch Leben zu allen Tageszeiten sei ein ebenso wirksamer Schutz wie der Eindruck, dass jemand zuständig ist.

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