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Umgestalten, aber wie? Für das Areal rund um die Marienkirche werden städtebauliche Lösungen gesucht.
© Doris Spiekermann-Klaas

Berlins Keimzelle: An der Marienkirche geht es um Bauen oder Bewahren

Die Zukunft des historischen Stadtzentrums ist weiter offen. Die in der öffentlichen Debatte entwickelten Thesen sind widersprüchlich.

Für Senatsbaudirektorin Regula Lüscher ist sie ein Erfolg. Der Historiker Benedikt Goebel bezeichnet sie als Farce: Die Stadtdebatte „Alte Mitte – neue Liebe?“ zur Zukunft des Stadtraums zwischen Spree und Fernsehturm. Rund 60 000 Menschen habe man begeistern können, online mitzudiskutieren, schwärmte Lüscher am Sonnabend vor dem sogenannten Halbzeitforum, auf dem weiter diskutiert wurde. Goebel, der im Kuratorium sitzt, das die Stadtentwicklungsverwaltung berät, will dagegen, dass es eine repräsentative Umfrage zur Zukunft der Keimzelle Berlins gibt. Entscheiden werde am Ende das Abgeordnetenhaus, machte Lüscher klar.

Zur Halbzeit der Debatte hat man, wie berichtet, 15 zum Teil widersprüchliche Thesen entwickelt, die nun in der zweiten Runde – wieder mit einem Online-Dialog, einer Bürgerwerkstatt, einem Fachkolloquium, Theater auf der Straße und Führungen über die umstrittene Fläche – diskutiert werden sollen.

Bisher ist noch nichts Konkretes herausgekommen. Der Knackpunkt ist immer noch heftig umstritten. Es geht dabei darum, ob alles mehr oder weniger beim Alten bleibt, ob es eine Bebauung nach historischem Vorbild gibt, oder ob es zu einer Teilbebauung vor allem um die Marienkirche kommt. Vor allem befragte Passanten seien dafür gewesen, hier im Zentrum nichts zu ändern, sagte Lüscher. Fachleute seien dagegen „eher kritisch.“

Einen breiten Konsens gibt es nach Lüschers Angaben bisher bei der These, dass die Mitte ein „Ort für Alle“ sein müsse und es kein Einkaufszentrum geben solle. Dies sei „beachtlich“, findet die Senatsbaudirektorin. Weitgehend einig seien sich die Teilnehmer bisher auch, dass die Mitte ein Ort sein soll, an dem die Geschichte auf unterschiedliche Art und Weise sicht- und erlebbar sein soll. Dies widerlege die Behauptung, dass Berliner kein Interesse an der Geschichte der Stadt hätten, sagte Lüscher. Strittig ist weiter, wie dies umgesetzt werden soll. Goebel setzt sich dafür ein, dass an diesem historischen Ort auch die Geschichte der Stadt erkennbar wird: vom Mittelalter über die Zeit der Naziherrschaft, der DDR und der Nachwendezeit.

Ein Puzzleteil ist, wie berichtet, bereits verschwunden: der Rest des alten Gotischen Rathauses. Beim Ausbuddeln der Baugrube für den künftigen U-Bahnhof Berliner Rathaus waren die Relikte entdeckt worden. Sie sollten in einem „Archäologischen Fenster“ innerhalb des Bahnhofs zu sehen sein. Nun sind sie aber hinter Beton verschwunden. Irgendwann könnten sie wieder freigelegt werden, heißt es nun beim Senat.

Auch ein weiterer Wunsch aus der Debatte dürfte nur schwer umzusetzen sein. Eine der Thesen lautet: Spandauer und Karl-Liebknecht-Straße sollen verkehrsberuhigt werden. Die Mitte brauche ein Verkehrskonzept, das Lärmbelastungen reduziere, Fuß- und Radverkehr priorisiere und Barrieren zu den umliegenden Vierteln verringere. Dass das bei Verkehrsplanern durchzusetzen ist, ist nicht sehr wahrscheinlich. Und Lüscher sagte am Sonnabend auch, dass beide Straßen erhalten blieben. In den Diskussionen spielte die Verkehrsberuhigung auch nur eine kleine Rolle. Eine Abstimmung unter den Teilnehmern des Halbzeitforums im Berlin Congress Centrum am Alexanderplatz war bei Redaktionsschluss noch nicht beendet.

Nach dem Willen der Mehrheit soll auf jeden Fall die Sichtachse zwischen Fernsehturm und Spree/Humboldt-Forum erhalten bleiben. Bei Planungen sollte auch die Sichtbeziehung zwischen Marienkirche und Rathaus berücksichtigt werden, heißt es in einer der Thesen.

Die Stadtdebatte konzentriert sich auf die Fläche zwischen Spree und Fernsehturm. Bereits der Alexanderplatz, dessen Gestaltung ebenso umstritten ist, gehört nicht mehr dazu. Und mit dem angrenzenden Bereich um die Grunerstraße und den Molkenmarkt beschäftige man sich schon seit Jahren, sagte Lüscher.

Die Stadtdebatte mit ihren unterschiedlichen Angeboten kostet rund 400 000 Euro. Ende des Jahres soll sie abgeschlossen sein. Ob das Abgeordnetenhaus dann auch den Kurs festlegt, ist ungewiss. Dann hat nämlich der Wahlkampf begonnen. Klaus Kurpjuweit

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