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Ein Hauch Central Park. Im Sommer versammeln sich Liebende, Sonnenanbeter, Jogger und Meditierende im Lietzenseepark, wo viele Sprachen zu hören sind.
© Thilo Rückeis

Lietzenseepark: Am See, so doppelt schön

Wo die Sonne am längsten scheint: Der Lietzenseepark in Charlottenburg ist ein Idyll in zwei Versionen. Gestaltet hat ihn der Charlottenburger Gartendirektor Erwin Barth, der zusammen mit den Architekten Heinrich Seeling und Rudolf Walter vor und nach dem Ersten Weltkrieg das sich noch heute darbietende Gesicht des Parks bestimmt.

Nirgendwo trauern sie so schön wie hier. Und wir freuen uns an ihnen. Ja, die üppigen Trauerweiden am Lietzenseepark sind besondere Augenweiden, mit ihrem ersten, den Frühling kündenden Grün, mit ihrer satten, tief hängenden Pracht, die den Sommergästen des Lietzenseeparks so gar nicht melancholisch erscheinen will. Am tollsten aber wirken sie, wenn ihre Äste wie rot schimmernde Fäden am Wasser in die frühen Herbstabende leuchten, während hinterm See und dem am Horizont als Wahrzeichen aufragenden Funkturm die Sonne erst spät versinkt.

Diesen Effekt genießen vor allem die Gäste auf der Terrasse des ehemaligen Bootshauses am nordöstlichen Ende des Lietzensees, das nach Abbruch und stilvollem Neubau (Holz, mit Ziegeln gedeckt) zu einem beliebten Café mit kleinem Bier- und Weingarten geworden ist. Weil von dort der Blick übers Wasser und den Park frei nach Westen geht, hat kaum ein Ort in Berlin länger Sonne als hier. Doch dort landet, wer den Lietzenseepark erkunden will, am besten erst zum Schluss.

Der Lietzenseepark, das brandenburgische Atlantis

Der Park ist eigentlich das an drei Seiten erweiterte und als Stadtgarten gestaltete Seeufer. Den See freilich gibt es, wie den Park, gleich in doppelter Version. Ursprünglich diente das sichelförmig von Südwest nach Nordost geschwungene Gewässer einem Benediktinerinnenkloster als damals noch im Wald gelegener Fischteich. Benannt nach dem Dorf Lietzow oder Lützow. Das Dorf ist 1719 in das selbstständige Städtchen Charlottenburg eingemeindet worden, während eine regionale Sage behauptete, dass Lietzow im See wie ein brandenburgisches Atlantis versunken sei und die Netze der Fischer sich mitunter noch an der Kirchturmspitze am Grund verfingen.

Heute fischt niemand mehr im See, der höchstens vier Meter Tiefe hat. Ihn speisen nur Regen und Grundwasser. Baden ist, außer für Enten, Schwäne, Reiher und trauernde Weiden strikt verboten, der See ergibt allein die Kulisse für den Park und die ihn säumenden Häuser.

Die Historie des Lietzenseeparks

In den 1820er Jahren erwarb General Erwin von Witzleben das Lietzensee-Gelände und veranlasste auf der westlichen Seite dieses Anwesens das Anlegen eines großen Parks und den Bau eines Landhauses. Nach dessen Tod, verkaufte die Familie von Witzleben im Jahr 1899 den Besitz an die Terrain-Gesellschaft Park Witzleben, die den Lietzenseepark umbaute und der Öffentlichkeit zugänglich machte. Ein Doppelsee, ein Doppelpark: in einer Senke nördlich des Stuttgarter Platzes und der Bahnlinie zwischen Zoo und Olympiastadion gelegen und direkt südlich des Kaiserdamms. Der Südwest- und der Nordostteil erinnern auch an eine Acht, die abgebunden wird durch die Neue Kantstraße. Als künstlich aufgeschütteter Damm teilt sie seit 1904 den Lietzensee, dessen beide Hälften im Jahr 1954 dank einer Unterführung entlang dem kleinen Verbindungskanal zwischen See und See ohne Überquerung der mehrspurigen Autostraße erreichbar sind. Im Jahr 1906 wurde der Lietzenseepark von Georg Toebelmann und August Brettschneider umgestaltet. Die Stadt  Charlottenburg kaufte im Jahr 1910 dann den Lietzenseepark. Die Anlagen verdanken sich der Gestaltung durch den Charlottenburger Gartendirektor Erwin Barth, der zusammen mit den Architekten Heinrich Seeling und Rudolf Walter vor und nach dem Ersten Weltkrieg das sich noch heute darbietende Gesicht des Lietzenseeparks bestimmt hat.

Schöne Spazierwege im Lietzenseepark

Am schönsten ist es, den südlichen, ruhigeren Teil zuerst anzugehen. Man lässt den Café- und Kneipenkiez rund um den Stuttgarter Platz ein wenig hinter sich und betritt den Park vom schattigen Dernburgplatz her entlang der südlichen „Kaskade“: einer gestuft zum See herabfallenden Brunnenanlage im Jugendstil, vor einigen Jahren geschmackvoll restauriert und tatsächlich wasserumflossen. Im Nordteil des Parks findet sich ein Pendant, doch sind die Becken dort trocken, nur ein trüber Brunnen lockt am Eingang von der Wundtstraße und dem Kaiserdamm. Dahinter herrscht ewige Ebbe, wie in den Kassen des Gartenbauamts.

Der südliche Teil gehört dabei zumeist noch den Liebespaaren auf Wegen und Wiesen, den Joggern und den Kids auf einem hinter Büschen fast versteckten kleinen Bolzplatz. Etwas trubeliger geht es hier im Sommer nur an einer Stelle zu: auf der sogenannten „Polizeiwiese“ am Südostufer, das ansonsten allein für Anwohner der dort gelegenen teils hochherrschaftlichen Wohnhäuser im „Charlottenburger Barock“ und einiger weniger gelungenen Neubauten zugänglich ist.

Lietzensee im Lietzenpark
Relaxen am Berliner Lietzensee.
© dpa/ Rainer Jensen

Der Lietzenseepark - Ein Hauch von Central Park

Polizei gibt es dort zwar keine, aber die stark frequentierte Sonnenbadewiese grenzt ans Areal eines auffälligen braunen Klinkerbaus von 1930. Es war erst der Verwaltungssitz der Knappschaftsberufsgenossenschaft, darum noch die gekreuzten Vorschlaghämmer der Kumpel am Eingang. Von 1950 bis 1953 diente das Gebäude dann als West-Berliner „Anlaufstelle“ für etwa 300 000 Flüchtlinge aus der DDR. Der Weg am Westufer führt indes unter Ahorn, Platanen und Weiden vorbei an der anmutig antikisierten Skulptur eines sandalenbindenden Jünglings (von 1909) unter der Neuen Kantstraße hindurch in den weitaus belebteren Nord-Seeteil. Hier schwingt der Park weiter aus, dahin schauen auch die Gäste der spektakulären Terrasse des Hotels „Seehof“ am dicht bebauten Südufer. Auf der offenen Parkseite begegnet einem nun ein nackter bronzener „Speerträger“ von 1940. Doch er ist eine angenehm unnarzisstisch wirkende zarte Figur (von Bernhard Bleeker, nicht Arno Breker!), sein Speer ist abgebrochen und eines seiner Augen mal blau, mal gerötet von einem offenbar mitfühlend dezenten Sprayer.

Plötzlich hört man viele Sprachen und sieht viele Farben, Charlottenburg hat hier seinen Hauch Central Park. Flirtende, Sonnende, Joggende, Meditierende jeden Alters. Auch ein großer Kinderspielplatz (bis Mitte August wegen Rattenbekämpfung geschlossen) und eine Wiese mit Trimmgeräten des Vereins „Lebensherbst“. Doch statt der Senioren stürmen ihn vor allem die Jungen und Jüngsten, unlängst krähten dort eine Schar Chinesenkinder und ihre Freunde jedem Passanten ein fröhliches „Ni hao!“ („Guten Tag“) entgegen und schienen im Training für Olympia 2020 zu strampeln.

Sonnenbader im Lietzenseepark
Sonnenbaden im Berliner Lietzenseepark.
© dpa/ Paul Zinken

Die Umgebung des Lietzensees

An der angrenzenden Wiese hin zum Kaiserdamm und dem Beginn des den Park abschließenden Witzlebenplatzes wurden nach Sturm- und Altersschäden über ein Dutzend neue Pappeln gepflanzt, neue Parkbänke aufgestellt (allerdings ohne Rücklehnen – wegen der hier am Rande lagernden älteren Alkis?), nur eine informative Hinweistafel auf die Geschichte des Parks ist seit langem bis zur Unlesbarkeit verschmiert. Hinweise gibt es dagegen reichlich (und vorbildlich) auf das beherrschende graue Gründerzeitpalais am Witzlebenplatz: Hier residierte bis 1943 das oberste Militärgericht und fällte zur NS-Zeit etwa 260 Terrortodesurteile. Seit ein paar Jahren befinden sich darin nun, leicht makaber, private Luxuswohnungen.

Am Ende aber lockt das von der bodenständigen Charlottenburger Trattoria „Stella Alpina“ betriebene Café Stella im Bootshaus mit Kuchen, Pizza oder Weißwürsten auf der Sonnenterrasse. Oder 20 Schritte weiter das Restaurant „Engelbecken“ und das Café „Manstein“. Nebenan gibt es auch ein Geschäft für Flügel, Pianos und Cembalos, und gegenüber läuten die Glocken vom Campanile der in Holz und Beton spektakulär entworfenen St.-Canisius-Kirche, vor zehn Jahren eingeweiht und eines der gelungensten Beispiele neuer Architektur in ganz Berlin. Es ist eine gute Gegend, für alle Sinne.

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