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Berlin: Als Berlin zu Elektropolis wurde

Über die ganze Stadt verteilt finden sich die Gebäude, die die Elektrifizierung Berlins und aller Privathaushalte begleiteten: Kraftwerke, Abspannwerke und die Bauten der Elektroindustrie. Jetzt plant das Landesdenkmalamt, diese Bauten zum Unesco-Welterbe anzumelden.

Die Berliner Museumsinsel zählt bereits zum Weltkulturerbe. Auch die preußischen Schlösser und Gärten sind auf der von der Unesco geführten Liste verzeichnet. Und zuletzt wurden 2008 auch sechs Sozialsiedlungen der Moderne, vom Hufeisen in Britz bis zum Schillerpark im Wedding, von der Unesco und ihren 189 Unterzeichnerstaaten der Welterbekonvention anerkannt.

Aber damit sind noch nicht alle herausragenden Baudenkmäler berücksichtigt, die Berlin zu bieten hat. Neueste Überlegungen des Landesdenkmalamtes gehen dahin, die Rolle Berlins bei der „Zweiten Industriellen Revolution“, der Verwendung elektrischer Energie statt Dampfkraft, und damit der Elektrifizierung aller Arbeits- und Lebensbereiche zu würdigen. Das Stichwort lautet „Elektropolis“ – Berlin, die Stadt der Elektrizität.

„Kein Industriezweig hat seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts das Wirtschaftsleben Berlins so entscheidend geprägt wie die elektrotechnische Industrie und die Elektrizitätswirtschaft“, heißt es in der Einladung zum 26. Berliner Denkmaltag, der sich am kommenden Dienstag im Alten Stadthaus mit dem Thema beschäftigen wird: „Sie erlangten innerhalb weniger Jahrzehnte eine weltweit führende Position. Die Stromversorgung revolutionierte die Produktion in der Industriemetropole und den Großstadtverkehr.“ Letzteres kommt immer dann unsanft zu Bewusstsein, wenn S- oder U-Bahnstrecken vorübergehend außer Betrieb gesetzt werden müssen.

Elektrizität ist überall verfügbar, aber wie sie produziert wird oder wurde und wie sie von der Produktion bis zur gewohnten Steckdose gelangt, ist nicht mehr geläufig. Und wer weiß schon, „dass die Stadt einige Jahrzehnte lang technischer ,Vorreiter‘ beim Aufbau und der Modernisierung einer flächendeckenden Stromversorgung war“, wie Landeskonservator Jörg Haspel betont? Längst ist die Stromversorgung im Stadtbild kaum noch wahrnehmbar. Das hat auch damit zu tun, dass es in Berlin keine mit früheren Jahrzehnten vergleichbare Industrie mehr gibt. Die Industrie als Hauptabnehmer der Stromproduktion, die ihrerseits aufs Engste mit der Herstellung elektrischer Geräte verbunden war, von AEG bis Osram, ist in Berlin nicht mehr vorhanden. Selbst wo die entsprechenden Bauten noch vorhanden sind, verbindet sich mit ihnen aufgrund der veränderten Nutzung nicht mehr die Vorstellung von Industrie, von Produktion und der dazu benötigten elektrischen Energie.

Das betrifft weniger die Bauten der Großindustrie, wie sie mustergültig in Siemensstadt beieinanderstehen. Der Hausarchitekt von Siemens in den zwanziger Jahren, Hans Hertlein, gab dem Elektrokonzern ein modernes Gesicht, insbesondere mit dem klinkerverkleideten Stahlskelettbau „Wernerwerk XV“. Vielfältiger in ihrer Architektur sind die über die Stadt verteilten Bauten der Bewag, die Hans Heinrich Müller entwarf. Heutzutage funktionslos geworden, sind sie durchaus begehrt: Das ehemalige Abspannwerk in der Charlottenburger Leibnizstraße wurde zu einem Bürohaus für ein imagebewusstes Unternehmen hergerichtet, im Abspannwerk an der Kopenhagener Straße am nördlichen Rand von Prenzlauer Berg logierte einige Jahre lang ein Ableger des Vitra Design Museums aus dem südbadischen Weil. Und am bekanntesten wurde das „E-Werk“ genannte Ensemble zwischen Mauer- und Wilhelmstraße, einst in Hinterhöfen versteckt und seit dem Krieg durch die Zerstörung der straßenseitigen Bauten freistehend. Seit den frühen neunziger Jahren erwies sich das Gebäude mit seinen hohen, im Dunkel sich verlierenden Hallen als idealer Ort für Events aller Art. Genau genommen handelt es sich beim „E-Werk“ nicht um ein Elektrizitätswerk. Hier wurde niemals Strom produziert, sondern der über ein Hochspannungskabel herangeführte Strom zur lokalen Verteilung „abgespannt“.

Alle drei genannten Bauten stammen aus den zwanziger Jahren, der Hoch-Zeit der Elektrifizierung Berlins. In den Jahren der allzu kurzlebigen Weimarer Republik fand die flächendeckende Elektrifizierung aller Haushalte statt, und wo zuvor Gas zur Beleuchtung und Kohle zum Kochen verwendet wurden, sollte nun der elektrische Strom genutzt werden. Dessen ständige Verfügbarkeit wurde zum Bestandteil der „Daseinsvorsorge“. Berlin hat sich mit der Bewag dieser Aufgabe mustergültig gestellt. Das Infrastrukturprojekt „Elektrizität“ gipfelte Mitte der zwanziger Jahre im Bau des „Großkraftwerks Klingenberg“ an der Oberspree. Gemeinsam mit der wenig später errichteten Anlage des „Kraftwerks West“ – nach dem Zweiten Weltkrieg als „Kraftwerk Reuter“ ein Symbol des Freiheitswillens des bedrohten West-Berlin – sollte Klingenberg die Hauptlast der Stromerzeugung für die preußisch-deutsche Hauptstadt Berlin tragen.

Das Großkraftwerk an der Spree, geplant vom AEG-Ingenieur Georg Klingenberg und nach dessen vorzeitigem Tod bei der Einweihung im Jahr 1927 nach ihm benannt, wurde bewusst als Symbol der Modernität gestaltet. Unter dem Motto „Jeder einmal in Klingenberg“ wurden Besichtigungstouren angeboten, und auf Plakaten warb die Bewag mit der Silhouette des Kraftwerkkomplexes für elektrische Badeöfen und Kochherde, damals Konsumgüter des gehobenen Bedarfs.

1931 musste die Bewag (teil-)privatisiert werden, da wegen der Weltwirtschaftskrise keine ausländischen Kredite zur Fortführung der Baumaßnahmen mehr gewährt wurden. Beispielsweise hatte das Kraftwerk Klingenberg, auf Gesamtkosten von 55 Millionen Reichsmark veranschlagt, nur durch eine Auslandsanleihe in Höhe von 30 Millionen Schweizer Franken finanziert werden können. Wie bedeutend die Eigenbetriebe der Stadt zur Zeit der Weimarer Republik waren, zeigen die Einnahmen Berlins im Jahr 1930: 514 Millionen Reichsmark betrug das kommunale Steueraufkommen, während die Gas-, Elektrizitäts- und Wasserwerke sowie die – erst zum 1. Januar 1929 gegründete – BVG sogar 520 Millionen Reichsmark erwirtschafteten. Fortan blieb lediglich eine „Konzessionsabgabe“ für die Stadt, die „ihr Eigentum an den Anlagen zur Stromversorgung eingebüßt hatte“, wie Thorsten Dame schreibt. Der TU-Dozent hat mit dem Buch „Elektropolis Berlin. Die Energie der Großstadt“ eine umfassende Geschichte der Elektrifizierung Berlins zwischen 1880 und 1930 vorgelegt, die vom Landesdenkmalamt in die renommierte Buchreihe „Die Bauwerke und Kunstdenkmäler von Berlin“ aufgenommen wurde (Gebr. Mann Verlag, Berlin 2011. 611 S., 89 €).

Alles schon mal dagewesen? Die Privatisierung der Bewag wiederholte sich Ende der neunziger Jahre – diesmal nicht aus Kreditmangel, sondern aus dem seinerzeit übermächtigen Glauben, Privatisierung sei billiger und effizienter. So ging die Bewag nach 1998 auf den schwedischen Konzern Vattenfall über. Für den Gebäudebestand, den die Bewag stets gehütet und auch gehortet hatte, bedeutete das einen Perspektivwechsel. Denn nun sollten die Baulichkeiten verwertet, sollte „totes“ Kapital aktiviert werden. Zum Glück konnten die Interessen des Unternehmens und die der Denkmalpflege weitgehend zur Deckung gebracht werden. Etliche der für die Versorgung nicht mehr benötigten Bauten stehen mittlerweile unter Denkmalschutz, und die Bewag wurde im Jahr 2000 für ihr Engagement ausgezeichnet: „als Vorbild für den Schutz und die Pflege von Denkmalen in der Hand eines Unternehmens“. So steht es in der Begründung für die Ferdinand-Quast-Medaille, die die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung alljährlich vergibt. Berlin kann also mit einem weit verstreuten, aber gut erhaltenen Ensemble von Denkmälern der Elektrifizierung aufwarten, sollten sich die dafür zuständigen Kulturminister aller 16 Bundesländer auf einen Antrag zur Aufnahme in die Unesco-Welterbeliste verständigen.

„Stadt unter Strom – das Erbe der Elektropolis Berlin“. 26. Berliner Denkmaltag am 17. April 2012. Altes Stadthaus, Bärensaal, Klosterstraße 47. Beginn 10 Uhr, Ende gegen 17 Uhr. Eintritt frei.

Bernhard Schulz

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