Berlin: Alles getan – und trotzdem reicht es nicht
Nach der Rütli-Schule hat auch die Plievier-Hauptschule in Wedding einen Hilferuf an den Senat gesandt
Die Backsteinfassade könnte nicht roter leuchten. Der Schulhof hat geschwungene Pflasterwege und Rabatten mit Mulchbelag. Im Foyer gibt es Säulen in Türkis, wasserblaues Linoleum, zartgelbe Wände. Sogar am Schwarzen Brett hängen die Listen und Infoblätter in rechtwinkliger Ordnung. Dies ist eine Musterschule, rein äußerlich betrachtet.
Von innen her geht es der Plievier-Hauptschule in der Weddinger Ravené-Straße nicht anders als der Rütli-Schule in Neukölln. Kurz bevor diese an die Öffentlichkeit ging, beschloss das Kollegium der Plievier-Schule, einen Brandbrief an die Schulaufsicht zu schicken. Darin ist von „verbaler Gewalt“ gegen Lehrer zu lesen, Intensivtätern, die kaum beschulbar seien, und einem zunehmenden Werteverfall. Kurz zuvor war ein Schuss auf eine Telefonzelle abgefeuert worden, die gerade zwei Lehrer passierten.
Schulleiterin Angelika Prase-Mansmann wünscht sich eine Debatte um Integration, Schule und vor allem um die Perspektiven von Hauptschülern in der Gesellschaft. Die Lehrerin beschreibt die Brandbriefe der Hauptschulen als „Coming-out“. Es sind Befreiungsschläge, um den aufgestauten Frust los zu werden.
Die Plievier-Hauptschule hat 320 Schüler, vorwiegend aus der Türkei und arabischen Ländern, und 42 Lehrer; auf acht Schüler kommt also ein Pädagoge. In den 7. Und 8. Klassen gestalten immer zwei Lehrer gemeinsam den Unterricht. Es gibt Förderklassen für Kinder mit Sprachschwierigkeiten, Integrationsklassen für Lernschwache, sogar eine Klasse für Analphabeten. Die „Schulinsel“ bildet Konfliktlotsen aus, die „Schulstation“ ist Anlaufpunkt, wenn jemand aus dem Unterricht fliegt. Es gibt drei Projekte für Schulverweigerer. Eltern werden gezielt aufgefordert, sich das Verhalten ihrer Kinder im Unterricht live anzuschauen. Vor jedem Schuljahr findet ein Gespräch mit den Eltern statt. „Mehr können wir nicht tun“, sagt Prase-Mansmann. Lehrer gebe es genug. Ab Ostern werden drei Sozialarbeiter an der Plievier-Schule und zwei benachbarten Schulen arbeiten.
Die Schulleiterin macht die soziale Lage im Kiez für das Versagen in der Schule verantwortlich. „Die Schüler sind nicht pünktlich, nicht zuverlässig, nicht ehrgeizig. Sie wissen nicht, wozu sie überhaupt lernen sollen. Das ist im Elternhaus nicht angelegt.“ Wer nicht schon aufgegeben hat, mache sich unrealistische Job-Vorstellungen. „Viele wollen akademische Berufe machen.“ Die geplante Zusammenlegung von Haupt- und Realschulen hält Prase-Mansmann für „Kosmetik“. Dadurch hätten lernschwache Schüler wieder das Gefühl, zu den „letzten“ in der Klasse zu gehören.
In der Pause drängeln die Jugendlichen aufgeregt am Schulhofgitter, weil Kameras da sind. Ibrahim, ein schmächtiger Kerl, 16 Jahre alt, hat ein dickes Pflaster auf der Nase. Nasenbeinbruch, natürlich von einer Prügelei, sagt er. „Ist jemand frech geworden.“ In die Schule geht er gern – „Action, Spaß haben, Freunde treffen“. Was er beruflich vorhat, weiß er noch nicht. Sein Vater fährt Taxi, „aber das ist mir zu viel Arbeit“. Andere Jungs erzählen von ihren Gangs und vom Kickboxen. Ahmad, der aus Palästina stammt, möchte Polizist werden, sein Kumpel Anwalt. Wie das gehen soll, wissen sie nicht. Khaled, 16, möchte gerne Kfz-Mechaniker werden, wird aber wahrscheinlich die Pizzeria seines Vaters übernehmen. Dafür braucht er die Schule nicht. „Ich sitze hier nur meine Zeit ab.“
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