Musik in Karlshorst: Alles für den Jazz
Freunde des Dixieland zieht es seit den 60ern nach Karlshorst. Ein Macher erzählt von alten und neuen Tönen.
Laut Potsdamer Abkommen waren die sowjetischen Siegertruppen in Ost-Berlin und in Ostdeutschland stationiert, für sie wurde der Stadtteil Berlin-Karlshorst zum Hauptquartier auserkoren. Für Karlshorst ergaben sich naturgemäß in der Folgezeit viele Veränderungen, etwa die Erbauung eines kulturellen Zentrums für die sowjetischen Offiziere zum Ende der 40er Jahre.
Das eigens dafür errichtete Haus wurde 1966 dem für Karlshorst zuständigen Stadtbezirk Lichtenberg zur deutschen, eigenen Nutzung übergeben. So entstand das Kreiskulturhaus Lichtenberg, kurz KKL. Bald entfaltete sich im neuen Kulturhaus reges kulturelles Leben. Sehr beliebt waren die immer ausverkauften Wochenend-Tanzabende.
So entstand die Idee, zur Abwechslung auch einmal Dixieland-Sondertanzabende zu präsentieren, im Wechsel mit „Papa Binnes Jazzband“ sowie dem „Jazz Collegium Berlin“. Leider ging diese Idee zunächst nicht auf – kein Publikumsinteresse. Wie sollte man zu dieser komischen Musik tanzen? Unter Dixieland-Freunden sprach es sich jedoch herum, und mit einem sich wandelnden Publikum wurden die Dixie-Abende dann doch noch ein Erfolg. Jeweils zwei Bands traten auf und es gab einen speziellen Jazz-Konzertteil mit mir als Moderator.
Von Dresden nach Berlin
Im Januar 1977 fand erstmals ein Großkonzert zum Jahresauftakt statt. Auf dem Bühnen-Hintergrund erstrahlte das Motto „Jazz für Sie – Dixieland“. Auch in den Jahren darauf wurde bis drei Uhr morgens getanzt. Die monatlichen Dixieland-Veranstaltungen waren wunderbar ins Laufen gekommen. Es entstanden unter den Dauerbesuchern neue Freundschaften, Enthusiasten wurden zu Helfern und Werbeträgern.
Alle Ost-Berliner Dixieland-Bands gaben sich die Klinke in die Hand, auch Bands aus Dresden, Leipzig, Weimar, Zwickau, Halle, Jena und Königs Wusterhausen. Das Berliner „Sinti Swing-Ensemble“ brachte Swing ins Programm, der Dresdner Pianist und Sänger Thomas Stelzer spielte den Blues.
Ich selbst hatte 1975 mit Video-Jazzvorträgen begonnen. Meine persönliche, enge Verbindung mit dem Internationalen Dixielandfestival Dresden machte es möglich, im Anschluss an das Festival für kleines Geld international namhafte Bands oder Solisten nach Karlshorst zu holen – so entstand die „Dresden-Nachlese“, bei der auch Musiker aus dem Westen spielen durften (was ja sonst generell verboten war), denn die Bands in Dresden waren offiziell über die Künstleragentur der DDR engagiert worden.
Zum Auftakt 1981 wurde die Hamburger „Mountain Village Jazzband“ enthusiastisch gefeiert, 1982 dann der Hamburger Boogie Woogie-Musiker Vince Weber. Später hatten wir auch Gäste aus Ungarn, Polen, Frankreich, England, der Sowjetunion und auch aus der Bundesrepublik.
Karlshorst ganz international
Finanziert wurden die Karlshorster Dixie-Veranstaltungen durch Eintrittsgelder und den Kulturfonds des Kreiskulturhauses Lichtenberg. So verliefen die 70er und 80er Jahre ausgesprochen Dixieland-fröhlich und unbeschwert, aber mit der Wende war das plötzlich vorbei. Mit der Wende wurde das KKL vom Bezirksamt Lichtenberg übernommen und erhielt den Namen „Kulturhaus Karlshorst“.
West-Berliner Musiker und Jazzfreunde, die seit dem Mauerfall im Herbst 1989 in großer Zahl zu unseren Jazzabenden kamen, empfahlen uns die Gründung eines gemeinnützigen Vereins – und am 22. April 1992 wurde schließlich der Jazz Treff Karlshorst e.V. offiziell eingetragen. Plötzlich gab es Berichts- und Wahlversammlungen. Neu war für uns auch der Mitgliedsbeitrag. Und der heißgeliebte Dixieland reihte sich jetzt ein in viele Spielarten des Jazz. Und dann wurde 2010 auch noch das Kulturhaus abgerissen, an das sich viele als Wochenend-Domizil so sehr gewöhnt hatten.
Heute sind wir wieder mit sämtlichen Veranstaltungen im neuen „Kulturhaus Karlshorst“ vertreten, langsam entwickelt sich ein neues Clubleben, der moderne, wenn auch kleine Saal mit grandioser Akustik wird zunehmend zur Heimstatt. Auch die musikalische Vielfalt zwischen Tradition, Blues, Swing und Moderne nimmt zu. Jazzmusiker aus aller Welt waren schon bei uns in Karlshorst: aus Madagaskar, Nigeria, den USA, Chile, Kuba, Frankreich, Kanada, Südkorea, Lettland ...
Das 25-jährige Jubiläum für unseren nach der Wende entstandenen Jazz Treff Karlshorst beinhaltet Hoffnung, Enttäuschung und ungezählte Aktivitäten – immer im Interesse des Jazz.
Karlheinz Drechsel