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Tödlicher Unfall auf der Berliner Stadtautobahn im Jahr 2013.
© dpa

Unfallbilanz der Polizei: Alle vier Minuten kracht es auf Berlins Straßen

Es gab weniger Verkehrstote, aber mehr verunglückte Senioren und Radler im vergangenen Jahr. Eine deutliche Ausweitung der Tempo-Kontrollen sieht der Polizeipräsident aber skeptisch.

Als die Polizei vor einem Jahr die Verkehrssicherheitsbilanz für 2011 vorlegte, dominierten die schlechten Nachrichten: Nach jahrelangem Rückgang waren wieder deutlich mehr Menschen im Berliner Straßenverkehr verunglückt. Jetzt liegt die Bilanz für 2012 vor. Auch sie setzt den positiven Trend früherer Jahre nicht fort: Die Zahlen der Unfälle und der Verletzten blieben fast unverändert. Allerdings sank die Zahl der Getöteten auf „den niedrigsten Wert seit 1900“, wie Polizeipräsident Klaus Kandt sagte. Zugleich kündigte er neuartige Kontrollen an. Hier ein Überblick über die Sicherheit auf den Straßen der Stadt.

Unfälle und Opfer

Zu 131 000 Verkehrsunfällen wurde die Polizei im vergangenen Jahr gerufen. Dabei wurden knapp 15 000 Menschen leicht sowie knapp über 2000 schwer verletzt. 42 Menschen starben – zwölf weniger als im Vorjahr und zwei weniger als im bisher besten Jahr 2010. Allerdings vermutet die Polizei vor allem bei den Unfällen mit Radfahrerbeteiligung eine Dunkelziffer von mehr als 50 Prozent, wie Verkehrspolizeichef Markus van Stegen mit Verweis auf Studien dazu sagte.

Risikogruppen

In dieser Kategorie stehen fast alle, die nicht mit Auto oder Lkw unterwegs und nicht in mittlerem Alter sind: So verunglückten 790 Kinder bis 14 Jahre, eins davon tödlich. Die Zahl der verletzten Kinder liegt etwa auf dem Niveau der Vorjahre. Nach Auskunft von Kandt trifft es radelnde und zu Fuß gehende Kinder etwa in gleichem Maße. Er riet, sie bis etwa zum zehnten Lebensjahr von Erwachsenen begleiten zu lassen – wobei sich die Begleiter vorbildlich verhalten müssen.

Letzteres fällt vor allem jungen Erwachsenen (18 bis 24 Jahre) als Autofahrer offensichtlich schwer: Ihr Anteil am Unfallgeschehen bleibt trotz eines langfristigen Rückgangs ebenso hoch wie ihre Verursacherquote von etwa zwei Dritteln. Zu dichtes Auffahren liegt klar vorn.

Diese Hauptursache haben die jüngsten mit den ältesten Autofahrern gemein. Doch die Generation 65plus ist auch insgesamt immer häufiger in Unfälle verwickelt: Fast 14 000 Crashs mit Senioren bedeuten ein trauriges Allzeithoch – mit oft besonders schweren Folgen: Jeder dritte Verkehrstote war älter als 54 Jahre.

Viele der insgesamt zahlreicher und mobiler werdenden Senioren verunglücken als Fußgänger. Sofern Fußgänger selbst schuld sind, haben sie meist den Fahrzeugverkehr oder rote Ampeln nicht beachtet. Ihr Hauptrisiko, Opfer zu werden, sind abbiegende Auto- und Lkw-Fahrer.

Das gilt ebenso für die Radfahrer, von denen mit 15 so viele im Verkehr starben wie seit zehn Jahren nicht. Rund die Hälfte ihrer Unfälle verursachen die Radler selbst – vor allem als Geisterfahrer in falscher Richtung oder auf Gehwegen.

Auch Moped- und Motorradfahrer leben gefährlich: 2200 wurden verletzt, sechs starben. Dabei verursachen sie weniger als die Hälfte ihrer Unfälle selbst – und wenn, dann meist durch zu geringen Abstand, gefolgt von zu schnellem Fahren.

Abbiegefehler mit schlimmen Folgen

Alkohol und Drogen

Von fünf alkoholisierten Verkehrstoten waren nach Auskunft von Kandt vier selbst schuld. Viele der Alkohol-Unfälle seien auffällig schwer gewesen. Oft seien auch andere Drogen im Spiel, was den Nachweis erschweren könne.

Straßenbahn

276 Tram-Unfälle mit 128 Verunglückten sind im Vergleich der letzten zehn Jahre wenig. Bei den Ursachen liegen Abbiegefehler vor missachteter Vorfahrt oder anderen Verkehrsregeln sowie falschem Verhalten von Fußgängern. Während Busfahrer die Mehrzahl ihrer Unfälle maßgeblich selbst verursachen, sind Tramfahrer nur ganz selten schuld.

Fahrerflucht

Die Zahl dieser Straftaten ist mit 28 500 ebenso konstant wie die Aufklärungsquote von 43 Prozent. Oft, aber längst nicht immer geht es um Parkplatzrempler: Mehr als 1800 Verletzte und ein Toter blieben nach Unfallfluchten 2012 zurück.

Kontrollen

Die mehr als 4,2 Millionen eingeleiteten Verfahren betrafen zwar überwiegend Parkverstöße, aber die Polizei erfasste auch über 100 000 Raser bei mobilen Kontrollen. Hinzu kamen mehr als 150 000 Treffer der stationären Blitzer, davon allein 70 000 aus dem Autobahntunnel Britz, wo sogar Schilder auf die Kontrolle hinweisen. 1200 mobile Rotlichtkontrollen ergaben 24 000 Verfahren; weitere 26 000 Rotlichtsünder wurden durch die 17 stationären Ampelblitzer erfasst. Die Bußgeldstelle kassierte durch Verkehrsverstöße mehr als 70 Millionen Euro. Fürs laufende Jahr kündigte Kandt „länderübergreifende Schwerpunktkontrollen“ an, zu denen Journalisten eingeladen werden sollen. So soll das Problembewusstsein wachsen. Ein weiterer Kontrollschwerpunkt sollen Abbiegefehler mit ihren „schlimmen Folgen“ sein. Wobei es schwierig sei, Unaufmerksamkeit ohne Unfall oder akute Gefährdung gerichtsfest zu ahnden. Dass andere Verstöße leichter zu ahnden sind, lässt die Bilanz der Sonderkontrollen zum Schutz des Fahrradverkehrs vom Vorjahr vermuten: Während dabei knapp 30 000 Radler angezeigt wurden, ergingen nur 5800 Anzeigen wegen Fehlern beim Rechtsabbiegen – eine Relation, die mit dem realen Unfallgeschehen wenig zu tun hat, wie der Radfahrerclub ADFC monierte.

Die Forderung nach mehr Blitzern sieht Kandt skeptisch. Er verwies auf finanzielle und personelle Grenzen ebenso wie auf die Akzeptanz bei den Bürgern. Die Frage nach mehr Überwachung betreffe eher die Politik als die Polizei.

Doch die Politik hielt sich auch diesmal aus dem Thema heraus – obwohl es die Innenverwaltung von Frank Henkel (CDU) war, die die Konferenz zur Unfallbilanz durch Teilnahme eines Politikers aufwerten wollte und daher den ursprünglichen Termin vor drei Wochen platzen ließ. Von einer „kleinen Irritation“ sprach der Polizeipräsident jetzt. Und die Innenverwaltung ließ ausrichten, dem gebe es „von unserer Seite nichts hinzuzufügen“.

Stefan Jacobs

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