Heimfahrt zu Weihnachten: Alle müssen raus aus Berlin
Zug um Zug leert der Hauptbahnhof an diesem Wochenende die Stadt. Hier treffen sich die Zugezogenen auf ihrem Weg in die Heimat.
Berlin ist eine Stadt der Zugezogenen. Sie kommen, weil die Großstadt ihnen Arbeit verspricht oder einen Studienplatz, Kultur, Partys – oder einfach nur ein wenig Abenteuer. Zur Weihnachtszeit fahren viele von ihnen in ihre Heimat zurück, sie brechen auf, die Festtage mit ihren Familien zu verbringen. Der Hauptbahnhof leert Zug um Zug die Stadt.
Am Freitagmittag, als die stärkste Reisezeit beginnt, stehen hunderte Menschen an den Gleisen, warten auf ihre Züge. Die meisten haben mehr als einen Koffer dabei, denn neben Kleidung und Kulturbeutel müssen schließlich auch noch die Geschenke transportiert werden. Adriana Weiß hat sich den Freitag freigenommen, um früher bei ihrer Familie zu sein. Die 32-Jährige arbeitet in einer Menschenrechtsorganisation, doch heute will sie den Zug nach Prag erwischen. „Ich bringe meiner Verwandtschaft Berliner Süßigkeiten mit und die Geschenke sind auch schon alle mit in meinem Gepäck“, sagt die Juristin, die seit drei Jahren in Berlin lebt.
Der Hauptbahnhof glitzert weihnachtlich
Auch Birgit Korthaneberg ist auf dem Weg zum Familienfest. Sie steht in dichtem Gedränge am Gleis, wartet auf den Zug, der sie nach Rheine in Nordrhein-Westfalen bringen soll. Die 50-jährige Sachbearbeiterin fährt aber ganz bewusst ein paar Tage vor Weihnachten, Heiligabend will sie nämlich schon zurück in Berlin sein, in ihrer neuen Heimat. „Ich lebe schon seit 1989 in Berlin“, sagt sie. „Für meine Eltern habe ich hier bei meinem Stammbäcker ein Früchtebrot gekauft, das ich ihnen mitbringe. Wir feiern zusammen und dann fahre ich wieder zurück“, sagt sie.
Der Hauptbahnhof ist festlich geschmückt, leuchtende Sterne hängen über den Köpfen der schnell unter ihnen hinwegeilenden Reisenden. Ein Weihnachtsmann wartet auf Kleinkinder, die ihm erzählen, was sie sich zum Fest wünschen. Auf den Rolltreppen bilden sich lange Schlangen, viele Reisende tragen eingepackte Geschenke unter den Armen, die offenbar zu groß für den Koffer waren. Eine Küchenmaschine, ein riesiger Teddybär, der ein Herz zwischen den Tatzen hält. Einige kaufen auch noch in letzter Minute in den Bahnhofsgeschäften die letzten Aufmerksamkeiten für ihre Mütter, Schwestern oder Freunde.
„Davon habe ich mich befreit“, sagt Roman Dashuber aus Kreuzberg. Er ist auf dem Weg zu seiner Familie nach München, Präsente hat er keine dabei, alle haben sich darauf geeinigt, dass in diesem Jahr nur die Kinder beschenkt werden. Dashuber lebt seit zwölf Jahren in Berlin und unternimmt die Reise nach Bayern regelmäßig. „Es ist auch jetzt schon voller im Zug als sonst, so kurz vor Weihnachten“, sagt er. Aber immerhin sei es jetzt noch nicht so voll, dass man auf dem Gang stehen müsse. Auf Roman Dashubers Strecke scheinen die Entlastungsmaßnahmen der Bahn zumindest zu funktionieren. Überhaupt klappt es am Freitag auf den meisten Strecken gut.
Das Schlimmste ist schon vorbei
Burkhard Ahlert, Sprecher der Bahn, geht davon aus, dass das Schlimmste an diesem Freitag schon geschafft ist. Dafür hat die Bahn viele zusätzliche Züge eingesetzt. „Alles, was zur Verfügung steht, rollt an diesem Tag“, sagt Ahlert. „Wir empfehlen unseren Kunden, Sitzplätze zu reservieren und neben ICE auch Intercity-Züge zu nutzen.“ An Heiligabend werde der Andrang wahrscheinlich geringer ausfallen als am stark frequentierten gestrigen Tag.
Diese Erfahrung hat auch Yvonne Mildt gemacht. Die Richterin am Amtsgericht lebt seit 20 Jahren in Berlin, fährt zu Weihnachten mit ihrer Tochter zusammen nach Köln zur Familie, wie jedes Jahr. „In aller Regel ist es im Zug sehr voll, viele sitzen oder liegen in den Gängen“, erzählt sie. Jedes Jahr das Gleiche, deswegen hat die 60-Jährige vorab für sich und ihre Tochter einen Platz reserviert. Trotzdem, sagt sie, vor Überraschungen sei man nie sicher.
Die Bordrestaurants sind gut gefüllt
Laut Bahnsprecher Ahlert hat sich auch die Bordgastronomie in den Zügen wegen der erhöhten Reisendennachfrage mit genügend Essen- und Getränkevorräten eingedeckt. Yvonne Mildt erinnert sich sogar an ein Jahr, in dem an Bord des Zuges Schokolade von den Zugbegleitern verteilt wurde. Das sei allerdings nicht die Regel.
Die Stadt wird leerer, mit jedem Zug, der den Hauptbahnhof verlässt. Doch sicher ist, dass die meisten von ihnen pünktlich zu Silvester wieder nach Berlin zurückkehren. Mit ihnen viele weitere Menschen aus dem ganzen Land, die in der Hauptstadt ins neue Jahr feiern werden. Und vielleicht auch irgendwann hierbleiben.
Veronique Rüssau
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