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Gedenken. Vor der Französischen Botschaft am Pariser Platz finden sich viele ein, um an die Opfer von Paris zu erinnern. Manchen ist in diesen Tagen unwohl.
© AFP

Paris, Berlin und die Folgen: Alarmstimmung in Berlin

Nach den Anschlägen in Paris herrscht auch in Berlin Nervosität. Ständig wird die Polizei zu verdächtigen Gegenständen gerufen. Ein Experte empfiehlt: Ruhe bewahren.

Seit den Anschlägen in Paris haben auch die Sprengstoffexperten der Berliner Polizei mehr zu tun: 14 Mal wurde die Polizei seit dem Wochenende wegen verdächtiger Gegenstände gerufen. Am Freitag gab es zwei Einsätze: Um 8 Uhr früh stand eine Fahrradtasche am Bundesfinanzministerium an der Leipziger Straße, wenig später eine Tasche mit Kleidung im U-Bahnhof Zoo.

In beiden Fällen waren die Auswirkungen immens. In Mitte brach der Verkehr am Morgen zusammen, Wilhelmstraße und Leipziger Straße waren gesperrt. Erst nach etwa eineinhalb Stunden kam die Entwarnung. Am Zoo wurde der U-Bahn-Verkehr auf den Linien 9 und 12 für etwa eine Stunde eingestellt. Die verdächtige Tasche lag auf dem Bahnsteig der U 9, auch hier war der Inhalt harmlos. Der Fernverkehr auf der Stadtbahn war nicht betroffen, auch die S-Bahn fuhr planmäßig weiter.

Einen weiteren Einsatz, nur etwa eine halbe Stunde später, hatte die Polizei am Mittag an der israelischen Botschaft in Schmargendorf. Ein nach Polizeiangaben verwirrter Mann hatte vor den dort zur Bewachung postierten Objektschützern mit zwei Messern herumgefuchtelt. Der Täter konnte schnell überwältigt werden.

600 derartige Einsätze pro Jahr

Da er einen Rucksack dabei hatte, aus dem Drähte ragten, wurden die Sprengstoffexperten gerufen – zum dritten Mal an diesem Freitag. Der Rucksack wurde um 12.15 Uhr von einem ferngesteuerten Roboter „gesprengt“, also mit einem extrem scharfen Wasserstrahl unschädlich gemacht. Der Inhalt: ein Computer, ein Kopfhörer und Papiere. Der 39-jährige Deutsche wurde von einem Amtsarzt in die Psychiatrie eingewiesen. Eine politische Motivation sei nicht zu erkennen, hieß es.

Verdächtige Gegenstände firmieren bei der Polizei unter „Verdacht USBV“, das steht für „Unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung“. Die Experten der Kriminaltechnik haben etwa 600 derartige Einsätze pro Jahr. Täglich gibt es im Schnitt einen verdächtigten Gegenstand, hinzu kommen weitere Einsätze bei Staatsbesuchen oder wie derzeit in einer abstrakten Bedrohungslage.

Lieber einmal zu viel anrufen

Die Polizei ist froh über jeden Hinweis auf verdächtige Gegenstände. „Lieber einmal zu viel anrufen als einen Hinweis nicht zu erhalten“, sagte ein Sprecher im Polizeipräsidium. Eine Mindestgröße für die Entscheidung, ob ein Gegenstand gefährlich sein kann, gebe es nicht. Die Einschätzung „gefährlich oder nicht“ treffen Experten.

In die Bewertung fließen neben der Größe mehrere Faktoren ein, darunter Fundort, Fundzeit und weitere Umstände – „das macht die Bewertung so schwer“. Zusätzliche Indizien sind zum Beispiel heraushängende Drähte wie im Fall des Rucksacks an der israelischen Botschaft. Ein Beamter berichtete, dass sogar ein Kugelschreiber als gefährlich eingeschätzt worden war.

Dieser war als Werbegeschenk an eine als gefährdet eingestufte Person geschickt worden. Der Stift wurde dann von Kriminaltechnikern überprüft, auch er war harmlos. Auch die Berliner Polizei hat Berichte zur Kenntnis genommen, dass die Bombe, die das Flugzeug über dem Sinai vermutlich zum Absturz gebracht hat, nur eine sehr geringe Größe gehabt haben soll, die Rede war von einer Coladose. Ein anderes Beispiel: Ein großer Koffer in einem Park wird anders behandelt als einer am Hauptbahnhof.

Niemand sollte auf Freizeit verzichten

All das zeigt, wie schwierig die Abwägung zwischen echter und vermeintlicher Gefahr selbst für Experten ist. Umso wichtiger ist es für normale Bürger, nicht in Hysterie zu verfallen, sagt der auf stressbedingte Erkrankungen spezialisiert Psychiater Dominique Piber von der Charité. „Sonst entstehen Kettenreaktionen, die unsere Lebensführung einschränken würden.“

Der Verzicht auf „Selbstfürsorge“ wäre mehr als ein Luxusproblem: Der Mensch brauche ein schönes Wochenende, um seine Ressourcen aufzuladen: „Freizeitaktivitäten, auf die man sich freut, sind ein hohes Gut.“ Deshalb solle niemand voreilig auf den Besuch von Fußballspiel oder Weihnachtsmarkt verzichten. Und wenn einem doch etwas komisch vorkomme, solle man mit kühlem Kopf überlegen, ob die scheinbare Gefahr wirklich plausibel ist.

Taschen sind meistens nur veregessen worden

Piber empfiehlt, die „Zweitmeinung“ eines Begleiters einzuholen – und zwar indem man ihn sachlich fragt und nicht mit der schlimmstmöglichen Hypothese konfrontiert. Es könne helfen, sich die Wahrscheinlichkeiten vor Augen zu führen – also sich klarzumachen, dass eine herrenlose Tasche in der Regel einfach von jemandem vergessen worden ist. Dann sollte zügig, aber ohne Gerenne und Geschrei, ein Verantwortlicher ausfindig gemacht werden, idealerweise ein Polizist in der Nähe.

Piber empfiehlt vor allem, sich nicht selbst zu viel einzureden. Also nicht zu überlegen, was im dicken Rucksack des Nachbarn in der Schlange schlimmstenfalls drin sein könnte. Und nicht Ursache und Wirkung zu verwechseln: Das zusätzliche Sicherheitspersonal auf einem Weihnachtsmarkt steht eben nicht in Erwartung eines Anschlages dort, sondern um die Sicherheit von tausenden Besuchern zu erhöhen.

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