Ideen für ein neues Stadtquartier: Adieu Tristesse
Für Ex-Senatsbaudirektor Hans Stimmann ist das Kulturforum "einer der schlimmsten Unorte Berlins". In seinem neuen Buch entwirft er gemeinsam mit renommierten Architekten eine Vision gegen diese Ödnis.
„So ein Trauerspiel … Einer der schlimmsten Unorte, die wir in Berlin haben … Kann doch nicht so liegen bleiben …“ Spricht man Hans Stimmann, ehemals Senatsbaudirektor, auf das Kulturforum an, fallen rasch starke Worte, getragen von einem Furor über die städtebauliche Tristesse, die das Areal zwischen Landwehrkanal und Potsdamer Platz nicht nur in seinen Augen darstellt. Eine zwar mit hochkarätigen architektonischen Solitären bebaute, überwiegend aber leere Fläche, karg bis unheimelig, von der breitspurig daherkommenden Potsdamer Straße, in den Maßen fast eine kleine Stadtautobahn, zerschnitten. Ein Zentralort der Hochkultur in Berlin – der zwar schon, aber leider nicht so strukturiert ist, dass potenzielle Besucherströme auch tatsächlich allen dortigen Schätzen, gerade denen der Gemäldegalerie, zugeleitet werden.
Nun ist es nicht so, dass über das Kulturforum zu wenig diskutiert worden wäre. Debatten über Debatten habe es gegeben, mühevoll und quälend sei das teilweise gewesen, erinnert sich Stimmann, der daran selbst lange Jahre beteiligt war. 2005 mündeten sie in einen Masterplan, seither ist nicht viel geschehen. Höchste Zeit also, die Diskussion neu zu beflügeln, sie aus der Stagnation heraus und in eine neue Richtung zu führen – gerade jetzt, wo durch die Überlegungen zur Neustrukturierung der hiesigen Museumslandschaft samt eventuellem Umzug der Gemäldegalerie alles in Bewegung geraten ist.
Den Versuch zu einem Richtungswechsel hat Hans Stimmann jetzt in gedruckter Form vorgelegt – 192 Seiten stark, angereichert mit historischen und aktuellen Fotos und einer mitunter schon verwirrenden, die endlosen Diskussionen dokumentierenden Fülle von Plänen, Entwürfen, Modellen: „Zukunft des Kulturforums – Ein Abgesang auf die Insel der Objekte“. Aber sein Blick geht nicht allein, wie der Untertitel suggerieren könnte, in die jüngere Vergangenheit, ist nicht bloße Abrechnung mit der Scharoun’schen Idee einer durch nur wenige Einzelbauten strukturierten Stadtlandschaft, sondern will zugleich „Erinnerungen an die Zukunft“ beschwören. Letztlich seien Scharoun und die aktuellen, daraus abgeleiteten Entwürfe eine Reaktion auf Speers Germania-Planung – der Versuch einer bewusst antifaschistischen Stadtplanung also, die aber die großbürgerliche Vorgeschichte des Tiergartenviertels vollkommen ausblende und verdränge.
Tristesse in Bildern: Das Kulturforum und seine Umgebung
Für Stimmann ein grundsätzlicher Fehler, den er und sechs von ihm zu städtebaulichen Entwürfen animierte Architekten korrigieren möchten. Nur Christoph Sattler – das Architekturbüro Hilmer & Sattler und Albrecht GmbH entwarf den Komplex der Gemäldegalerie – hatte sich zuvor schon mit dem Kulturforum beschäftigt, für Bernd Albers, Klaus Theo Brenner, Max Dudler, Jan Kleihues und Sergei Tchoban bedeutete das Areal Neuland. Nun präsentieren die sechs Spitzenkräfte aus der Berliner Architektenszene stadtplanerische Lösungen, die sich von der aktuellen Stadtlandschaft Scharoun’scher Prägung bewusst abwenden, hin zu einem neuen Stadtquartier, in dem jedoch die alten Strukturen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts einfließen – eben als „Erinnerungen an die Zukunft“. Keiner wolle dabei das Alte wiederholen oder gar rekonstruieren, erläutert Stimmann.
Es gehe vielmehr „um eine Zukunft des Kulturforums, die die besonderen Klänge der ehemaligen bürgerlichen Vorstadt und die des West-Berliner Kulturforums verarbeiten soll“, wie er schreibt. Die besondere Aufgabe bestehe darin, die vier kulturellen Monumente von St. Matthäuskirche, Philharmonie, Neuer Nationalgalerie und Staatsbibliothek städtisch zu inszenieren. „Das Spektrum der ergänzenden Funktionen soll neben weiteren kulturellen Nutzungen – wie etwa im Falle der Erweiterung der Neuen Nationalgalerie – private Dienstleistungen, Läden, Galerien, Cafés, Restaurants, aber auch städtisches Wohnen umfassen.“
Die Potsdamer Straße soll schmaler werden
So unterschiedlich die sechs Entwürfe auch ausfallen – einige Essentials seien ihnen doch gemeinsam, sagt Stimmann: Vor allem soll die Matthäuskirche wieder in den Mittelpunkt des Stadtquartiers gerückt werden, von neuen Baukörpern eingefasst und zugleich mit einem ihr angemessenen Vorplatz daraus hervorgehoben. Die Piazetta genannte Rampe am Kulturforum, die die Gemäldegalerie eher hinter sich verbirgt als präsentiert, soll durch einen neuen Eingangsbereich ersetzt werden. Und die allein schon durch den breiten Mittelstreifen überdimensionierte Potsdamer Straße, die nach Meinung Stimmanns einer Urbanität des Viertels jede Chance nimmt, soll schmaler werden. Keiner der sechs Entwürfe beanspruche aber die Lösung für die Zukunft des Kulturforums zu sein. Ziel sei vielmehr „das Aufzeigen eines breiten Spektrums an städtebaulichen und architektonischen Möglichkeiten der Interpretation veränderter urbanistischer Ziele“ gewesen.
Ohnehin bieten die sechs Vorschläge nur grobe Entwürfe, müsste im Detail manches nachgebessert werden, beispielsweise schon im Umgang mit dem Naturdenkmal der „Kaiserplatane“ an der Potsdamer Straße, gegenüber dem Kammermusiksaal. 1858 war sie zur Hochzeit von Kronprinz Friedrich Wilhelm, des späteren „99-Tage-Kaisers“ Friedrich III., gepflanzt worden, hat seitdem, mehrfach vom Abholzen bedroht, alle Irrungen und Wirrungen der Berliner Stadtplanung überlebt.
Tristesse in Bildern: Das Kulturforum und seine Umgebung
Wer heute diesen Baumriesen einer neuen Idee opfern wollte, hätte mit einem lauten Aufschrei zu rechnen, was nicht jeder der sechs Architekten hinreichend berücksichtigt zu haben scheint. Die einen lassen dem grünen Veteranen weiter genügend Luft zum Atmen und Wachsen, andere platzieren Neubauten an seinem angestammten Ort. Und Sergei Tchoban fasst ihn mit zwei Gebäuderiegeln ein wie der Goldschmied einen Edelstein. Eine Idee, über die zu diskutieren wäre.
Stimmann, Hans: Zukunft des Kulturforums – Ein Abgesang auf die Insel der Objekte. Mit Beiträgen von Wolfgang Schäche und Erik-Jan Ouwerkerk sowie Entwürfen von Bernd Albers, Klaus Theo Brenner, Max Dudler, Jan Kleihues, Christoph Sattler, Sergei Tchoban. DOM publishers, Berlin. 192 Seiten, 250 Abbildungen. Das Buch kostet 48 Euro.