Sozialsenatorin Breitenbach setzt sich durch: Abschieben nur noch mit Ansage
Innensenator knickt im Streit mit Sozialsenatorin um Zugang zu Flüchtlingsunterkünften ein. Von der Polizei heißt es: verheerendes Signal.
Auf politischen Druck und wegen eines Streits in der rot-rot-grünen Regierungskoalition darf die Berliner Polizei – aus ihrer Sicht – bislang geltendes Recht nicht mehr umsetzen. Denn Innensenator Andreas Geisel (SPD) ist im koalitionsinternen Konflikt mit Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) um den Zugang der Polizei zu Flüchtlingsheimen bei Abschiebungen vorerst eingeknickt.
Die Innenverwaltung hat entgegen den jüngsten Aussage des Senators, nach der bisherigen Rechtslage weiter verfahren zu wollen, die Polizeiführung angewiesen, dass die Anwendung „der bisherigen Rechtsposition“ nun „vorläufig ausgesetzt“ wird. Das geht aus einer schriftlichen Anweisung der Innenverwaltung an den Vizechef des Stabs von Polizeipräsidentin Barbara Slowik hervor, die dem Tagesspiegel vorliegt.
Auslöser des Streits soll ein Polizeieinsatz vom August 2018 sein, bei dem der Polizei der Zugang zu einer Flüchtlingsunterkunft verweigert worden war. Im Anschluss hatte Slowik per Brief an den Präsidenten des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten, Alexander Straßmeir, um Klarstellung gebeten. Straßmeir wiederum holte sich für seine Antwort an Slowik Rückendeckung bei der Sozialverwaltung von Senatorin Breitenbach.
Parallel hat die Sozialverwaltung den Betreibern der Flüchtlingsunterkünfte nun per Vermerk die neue Linie vorgegeben. Demnach betrachten die Juristen der Sozialverwaltung Gemeinschaftsunterkünfte wie Wohnungen, die durch das Grundgesetz vor staatlichen Eingriffen besonders geschützt sind.
Nach Ansicht von Breitenbachs Juristen darf die Polizei deshalb nicht einfach in eine Flüchtlingsunterkunft gehen, um einen vom Verwaltungsgericht getroffenen Abschiebebeschluss umzusetzen. Vielmehr muss nach Ansicht der Sozialverwaltung ein weiterer richterlicher Durchsuchungsbeschluss vorliegen, damit die Polizei in einer Gemeinschaftsunterkunft und auch in einzelnen Zimmern nach einem Flüchtling, der abgeschoben werden soll, suchen darf.
In der vergangenen Woche hatten sich die Koalitionspartner mit deftigen Worten zitieren lassen. Breitenbach sagte der „Morgenpost“, ihr gehe es darum, dass Polizisten nicht in Asylunterkünften „reinrockern, wie sie wollen“. Der Innensenator reagierte irritiert und sprach von einem Eingriff in seine Ressortzuständigkeit. Die Frage könne unterschiedlich gesehen werden, sagte Geisels Sprecher. Der Innensenator teile die Auffassung seiner Kabinettskollegin nicht. Jetzt müsse eine politische Lösung für den Streit gefunden wurden.
Betonung der Privatsphäre
„Auch in Berlin gilt Bundesrecht, wir sind daran gebunden. Daran sollten wir uns tunlichst halten“, sagte er. Geisel sagte der „Morgenpost“ vor einer Woche, an jenem Tag, als die neue Weisung der Innenverwaltung an die Polizei herausging: „Die Polizei macht natürlich weiter wie bisher.“ Geisel Sprecher sagte Mitte vergangene Woche: Für die Polizei ergäben sich „keine veränderten Vorgehensweisen“.
Doch das trifft offenbar nicht zu, vielmehr soll die Polizei sich vorerst zurückhalten – selbst wenn sie einen Abschiebebeschluss des Verwaltungsgerichtes hat. In einem auf den vergangenen Montag datierten Schreiben hat der für die Polizei zuständige Abteilungsleiter der Innenverwaltung eine klare Weisung abgegeben. Empfänger des Schreibens war der Chef des Stabs von Polizeipräsidentin Slowik, Thomas Dublies.
[Disclaimer: Wir haben den Beitrag in seiner aktuellen Fassung um rechtliche Details aus Sicht des Flüchtlingsrates und der Senatssozialverwaltung ergänzt.]
Der Abteilungsleiter macht seine Vorgabe „vor dem Hintergrund des bestehenden Dissenses“ zwischen der Sozialverwaltung von Senatorin Breitenbach und „meinem Haus über die rechtliche Beurteilung des Betretens von Unterkünften des LAF durch die Polizei Berlin im Rahmen von Rückführungen oder Abschiebungen“. In dem Schreiben gibt der Abteilungsleiter der Polizeiführung Anweisungen für Direktabschiebungen von abgelehnten Asylbewerbern. Die Polizei soll demnach von der bisher geltenden Anordnungen abweichen.
„Ein Betreten von Wohnungen oder Wohn- und Schlafräumen durch Polizeikräfte bei Direktabschiebungen soll nicht gegen den Willen der jeweiligen Bewohnenden erfolgen“, heißt es in der Anweisung der Innenverwaltung. Und: „Nicht öffentlich zugängliche Gemeinschaftsräume in Gemeinschafts- und Notunterkünften sollen nicht ohne Zustimmung der Betreibenden betreten werden.“ Auch auf „unmittelbaren Zwang“ soll die Polizei in diesen Räumen und beim „Öffnen verschlossener Türen“ verzichten.
Am Ende seines Schreibens hat der Abteilungsleiter zwar klargestellt: „Mit dieser Weisung ist ausdrücklich keine Aufgabe der bisherigen Rechtsposition meines Hauses verbunden.“ Doch dann heißt es zum Abschluss: Die „Anwendung“ der bisherigen Rechtsposition werde „bis zur Klärung der streitigen Rechtsfragen lediglich zurückgestellt“.
Sozialsenatorin und Flüchtlingsrat berufen sich auf OVG-Entscheidung
Während die Innenverwaltung auf ihrer Rechtsposition beharrt, beklagt der Flüchtlingsrat, dass Geisel es mehr als ein Jahr versäumt habe, auf Gerichtsurteile zu reagieren – und damit durch die Polizei bisher gegen geltendes Recht verstoßen wurde. Sozialsenatorin Breitenbach und der Flüchtlingsrat berufen sich unter anderem auf eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg (OVG) vom Februar 2018.
Das Gericht hatte entschieden, dass Berlin im Gegensatz zu anderen Bundesländern bislang keine Ermächtigungsgrundlage für Durchsuchungen bei Abschiebungen geschaffen habe und die bisherigen Landesgesetze nicht ausreichten. Demnach sei für einen Eingriff in die vom Grundgesetz geschützte Unverletzlichkeit der Wohnung auch bei Abschiebungen ein richterlicher Durchsuchungsbeschluss für Flüchtlingsheime nötig.
Viele Abschiebungen scheitern
In der Berliner Polizei provoziert der Koalitionsstreit Kritik. „Dass sich der Innensenator als oberster Dienstherr der Polizei von politischen Erwägungen seines Koalitionspartners leiten lässt und in die Polizei an gesetzlichen Erwägungen vorbei hineindiktiert ist nicht hinnehmbar“, sagt Jörn Badendick, Sprecher des Berufsverbandes „Unabhängige“, dem Tagesspiegel. „Der Rechtsstaat kann nur funktionieren, wenn richterliche Entscheidungen auch umgesetzt werden. Ein politisches Aushebeln gerichtlich angeordneter Abschiebungen sind ein verheerendes Signal für die Gesellschaft, dessen Tragweite die Senatsfraktionen offensichtlich nicht überschauen.“
Auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) reagierte verbittert. „Es ist ja schön, dass man im Senat versucht, mit innovativen Ideen eine gewisse Arbeitstätigkeit nachzuweisen. Vielleicht aber sollten die Vertreter der drei Regierungsparteien mehr miteinander kommunizieren, anstatt sich gegenseitig zu blockieren“, sagte GdP-Sprecher Benjamin Jendro. Die Beamten entschieden nicht, wer abgeschoben wird, „sondern sie vollstrecken im Rahmen der Amtshilfe. Dafür verdienen sie klare Richtlinien und die gibt das Grundgesetz vor.“
Die Sozialsenatorin sollte sich bewusst sein, dass sie mit ihrem Vorstoß allein jenen helfe, „über deren Status bereits abschließend entschieden wurde und die sich Maßnahmen entziehen wollen, die unser demokratischer Rechtsstaat vorgibt“. Schon jetzt scheiterten mehr als die Hälfte angeordneter Abschiebungen, „weil Menschen nicht angetroffen werden, sie Krankheiten vortäuschen oder Widerstand leisten und unsere Kollegen angreifen“.
Nach dem aktuellen Zahlen leben mehr als 12.200 ausreisepflichtige Ausländer in Berlin, die meisten kommen aus Libanon, Russland, Irak, Serbien und Vietnam. Hinzu kommen 44.000 rechtskräftig abgelehnte Asylbewerber seit dem Jahr 1971, die geduldet sind. Nur die wenigsten davon sind ausreisepflichtig. 2017 wurden 1638 Menschen aus Berlin abgeschoben, 2018 waren es 1182.