Digitale Stadtverwaltung in Berlin: Ab ins Netz!
Wartezeiten, Papierkrieg, fehlerhafte Software: Obwohl Berlin als Silicon Valley Europas gefeiert wird, wirkt die Stadt beim Thema digitale Verwaltung wie ein Tal der Ahnungslosen. Das nervt.
Es ist Sonntagvormittag, neben meiner Kaffeetasse steht ein aufgeklapptes Notebook. Die beste Zeit, um ein paar Punkte auf der To-do-Liste abzuhaken. Mit einer e-TAN logge ich mich in meinen Bürger-Account ein und teile dem Berliner Einwohnermeldeamt mit, dass ich letzte Woche umgezogen bin. Bezahle schnell einen Strafzettel, indem ich den aufgedruckten QR-Code mit dem Smartphone einscanne und den Betrag direkt überweise. Und stimme dann noch online bei einem Volksentscheid ab. Meinen persönlichen Code dafür habe ich vor ein paar Tagen per SMS bekommen. Klick, klick, klick. Und fertig.
Sie finden das unrealistisch? Glauben nicht, dass das funktioniert? Stimmt, tut es auch nicht. Berlin wird zwar in Fachmagazinen und Gründerportalen bereits als das Silicon Valley Europas gefeiert, aber in der Stadtverwaltung ist von dem frischen Wind der Innovationen noch nicht viel angekommen. Es ist peinlich, wie sehr die Stadt bei der Digitalisierung hinterherhinkt. Dabei müsste Berlin Vorreiter sein, wenn nicht sogar ein Labor für digitale Stadtverwaltung. Stattdessen scheint E-Government hier ein Fremdwort zu sein. Warum etwas digital lösen, wenn es auch auf Papier geht? Warum den Vorgang einfach und schnell online abwickeln, wenn man den Bürger auch zehn Wochen auf einen Termin im Amt warten lassen kann? Die meisten Verwaltungsmitarbeiter denken beim Anblick eines QR-Codes wohl eher an Fliegenschiss als an einen Link ins Internet.
Neue Software mit technischen Mängeln
Und wenn sich doch mal was bewegen soll, dann hakt es. Wie beim Online-Ordnungsamt. Schon seit Jahren wurde es unter dem Namen „Maerker“ als Pilotprojekt in Lichtenberg getestet. Falsch parkende Autos, gefährliche Schlaglöcher und wilde Mülldeponien: Über alles konnte man sich hier online beschweren – und den Stand der Bearbeitung mitverfolgen. Ab 1. August sollte das nun in ganz Berlin funktionieren. Eigentlich. Dumm nur, dass die neu entwickelte Software aufgrund technischer Mängel noch gar nicht überall zur Verfügung gestellt wurde.
Andernorts lässt sich gut beobachten, wie es besser gehen könnte. Da muss man gar nicht ins Digital-Paradies Estland schauen, wo online und per SMS gewählt werden kann. In Kaiserslautern etwa ist die Sache mit dem QR-Code auf dem Strafzettel schon Realität. Und in Köln können die Bürger über eine kinderleicht zu bedienende Website über die Verwendung bestimmter Haushaltsmittel mitbestimmen. In Berlin ist das in einigen Bezirken zwar theoretisch ebenfalls möglich. Praktisch aber versteckt sich die Seite etwa für Friedrichshain-Kreuzberg hinter einer URL mit mehreren Schräg- und Bindestrichen, die Eingabemaske für die Registrierung ist nicht auffindbar. Seit 2011 gab es dort ganze 41 Vorschläge.
Unterschrift per App?
Berlin denkt analog. Das zeigt sich auch beim Volksbegehren. Jede Unterschrift muss mit dem Stift erfolgen. Warum geht das nicht online? Per App? Es sollte doch wohl möglich sein, eine sichere Identifizierungsmethode zu entwickeln. Bei Petitionen sind Unterschriftensammlungen im Netz ja schon möglich – nur dass sie nicht verbindlich sind und nur selten im Senat verhandelt werden. Würde Berlin auch bei Volksbegehren oder Volksentscheiden online abstimmen lassen, die Beteiligung wäre sicher höher.
Klar, nicht jeder Behördenmitarbeiter kann sich mal eben tief greifende IT-Kenntnisse aneignen. Aber das benötigte Know-how ist ja in der Stadt. Die Start-up-Szene boomt, Entwickler und Nerds aus aller Welt schlagen ihre Zelte auf. Hier sitzen Unternehmen, die Online-Wahlsysteme entwickeln, und Software, mit der man Bürgerbeteiligung online vorantreiben könnte. Hier sitzen Experten für IT-Sicherheit. Wenn’s die Politik alleine mit der Digitalisierung nicht schafft – warum dann nicht kooperieren?
Das analoge Berlin jedenfalls nervt. Manchmal erinnere ich mich an einen Abend in einem mexikanischen Küstenstädtchen. Dort hatte ich auf einmal W-Lan, mitten auf der Straße, öffentlich zur Verfügung gestellt. Das war 2011. Wenn ich heute in Berlin an der Friedrichstraße stehe, habe ich kein W-Lan. Dafür müsste ich zu Starbucks gehen.
Dieser Text erschien zunächst als Rant in unserer gedruckten Samstagsbeilage Mehr Berlin.