Sanierung der Staatsoper in Berlin: 50 Millionen Euro teurer als geplant
In diesem Oktober sollte sie fertig sein, die Berliner Staatsoper. So war es gedacht. Doch es kam anders. Teurer, später, komplizierter. Es scheint, als hätten die Planer erst jetzt erkannt, mit was für einem Haus sie es hier zu tun haben.
Das Mahnmal für den unbekannten Baugrund ist auf einem Tisch am Fenster abgelegt. Ein weißgraues Stück Holz, gleichzeitig mürbe und knochenhart und von der Form eines zerkauten Bleistifts, nur größer, einen Meter lang, liegt auf einem weißgrauen Büromöbel. Draußen fahren die Autos über die Französische Straße, und hier drinnen ist ein Baustellen-Besprechungsraum.
Das Holzstück war einst tief in den Berliner Schlamm getrieben worden, damit man Häuser auf ihn bauen konnte. Nun ist es einer der Gründe dafür, warum das Häuserbauen an derselben Stelle manchmal kaum noch möglich scheint, dass es zumindest komplizierter ist, länger dauert und mehr Geld kostet, als von den Bauherren beabsichtigt. Es ist mit schuld daran, dass die Gegend hier, zwischen Französischer Straße und der Straße Unter den Linden, immer noch aussieht wie ein Bergwerk. Das Holzstück ist der Rest eines Kiefernpfahls und das Bergwerk die Berliner Staatsoper.
Im September 2010 begann deren Umbau und Sanierung, in diesem Oktober sollte alles fertig sein. So war es gedacht. Stattdessen: Bürocontainerstapel stehen da, eine stinkende Plastiktoilettenkabine kippelt neben umgekippten Zäunen an einem zwölfeinhalb Meter tiefen Abgrund, Planen hängen vor einigen der Fassadenfronten, Stahlgerüste stützen andere. Das Dach ist weg.
Mal wieder zeigt sich das Übel dieser Stadt
Wenn in den vergangenen drei Jahren Nachrichten von dieser Baustelle an die Öffentlichkeit drangen, dann waren es meist welche von verschobenen Fertigstellungsterminen und von steigenden Kosten. Es war dieselbe Art Nachrichten, wie sie auch von der Baustelle des Berliner Großflughafens kamen. Der Flughafen schien kein bedauerlicher Einzelfall mehr zu sein, stattdessen war offenbar irgendetwas grundsätzlich von Übel in dieser Stadt, irgendeine Art System musste dahinterstecken, das das planmäßige Betreiben einer steuergeldfinanzierten Großbaustelle verhindert.
Insofern klingt es beruhigend, wenn die Senatsbaudirektorin Regula Lüscher jetzt sagt: „Es gibt keine Neuigkeiten.“ Und beruhigend ist es auch tatsächlich gemeint, denn Lüscher vervollständigt den Satz nach einer kurzen Pause: „Auch keine negativen Neuigkeiten.“
Lüscher sitzt in ihrem Büro Am Köllnischen Park, 20 Minuten Fußweg von Kiefernpfahl und Opernbaustelle entfernt. Sie ist zuständig, in gewisser Weise sogar mehrfach, denn neben der Senatsverwaltungsabteilung „Hochbau“, die das „Projektmanagement“ der Opernsanierung betreibt, steht Lüscher auch den Abteilungen „Baukultur“, „Zentrale Steuerung“ und „Städtebau und Projekte“ vor.
Die Ellbogen stützt sie auf einen Aktenordner, in dem Papiere mit den neuesten Opernzahlen liegen. Prozentwerte stehen auf diesen Blättern, Tortendiagramme, aus denen hervorgeht, dass zehn Prozent der Baukosten für alles Unterirdische anfallen, vier Prozent für die Verbesserung der Raumakustik und drei für die neue Hinterbühne.
Nur selten muss Lüscher den Aktendeckel heben, um nachzuschauen. Sie hat die Opernzahlen im Kopf, und die, die ihre eigene Person betreffen, erst recht. „Ich bin schätzungsweise alle vier Wochen auf der Baustelle“, sagt Lüscher. „Von meiner Arbeitszeit als Senatsbaudirektorin“ – die nach eigener Aussage 50 Prozent ihrer gesamten Senatsarbeit ausmache, die anderen 50 Prozent ist sie Staatssekretärin – „bin ich zu einem Fünftel in Anspruch genommen durch die fachliche und politische Begleitung des Opernbaus".
50 Millionen Euro teurer als geplant.
Durch die nervliche Begleitung des Opernbaus ist Lüscher gewiss noch mehr in Anspruch genommen. Denn die Berliner Öffentlichkeit und auch das Parlament haben mit einigem Unverständnis darauf reagiert, als die ursprünglich auf 242 Millionen Euro bezifferten Baukosten im vergangenen Dezember erst auf 288 Millionen Euro stiegen und nach erneutem Nachrechnen im Mai dieses Jahres auf 296 Millionen Euro.
Es war zweimal bislang mitzuteilen, dass der Wiedereröffnungstermin verschoben werden müsse. Die derzeit gültige Sprachregelung benennt nun den Oktober 2015, doch Lüscher mag sich auch darauf nun nicht mehr einlassen. Sie sagt: „Es gibt keinen fixen Eröffnungstermin. Bis wir den Winter hinter uns haben, ist es nicht vernünftig, einen Termin zu nennen. Wir haben da noch zu große Unwägbarkeiten vor uns.“ Sie sei aber optimistisch. „Frühestens im Frühling 2014 werden wir wichtige Meilensteine in der Baukonstruktion hinter uns haben“, sagt sie. „Es sieht so aus, als würden wir das auch erreichen.“
Es sieht so aus. Falls es am Ende dann doch anders aussieht, hat das natürlich auch Auswirkungen aufs Geld. „Der Kostenrahmen bisher beinhaltet nicht weitere Terminverzögerungen“, sagt Lüscher. „Bei Verzögerungen sind Steigerungen zu erwarten.“ Das ist kein Eiertanz, das sind vergleichsweise deutliche Worte. Es scheint, als habe die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung jetzt – im ursprünglich geplanten Eröffnungsmonat – erkannt, mit was für einem Haus sie es bei der Oper zu tun hat.
Große Abweichungen zwischen Bestandsplänen und tatsächlichem Bauzustand
1742 wurde sie zum ersten Mal eröffnet, 1788 zum ersten Mal umgebaut. 1843 brannte sie zum ersten Mal ab und danach kam es zum ersten Wiederaufbau. 1926 bis 1928 wurde die Oper wieder umgebaut, 1941 durch Luftangriffe beschädigt und umgehend wiederaufgebaut, 1945 wieder bombardiert. Der bisher letzte Wiederaufbau fand in den Jahren von 1952 bis 1955 statt.
Entsprechend unübersichtlich sind die Bauunterlagen. Lüscher sagt: „Als die Bühnentechnik demontiert wurde, war zu erkennen, dass es große Abweichungen zwischen den Bestandsplänen und dem tatsächlichen Bauzustand gab.“ Genauso unübersichtlich ist die Bausubstanz des Hauses selbst. Bauleute stoßen hier unweigerlich auf Überraschungen. Auf Kiefernpfähle zum Beispiel.
Im Frühjahr 2012 wurden die entdeckt, in einer Tiefe von 17 Metern. Sie störten beim Verdichten des Betonsockels und bei dessen Abdichtung gegen das Grundwasser. Sie waren der Grund für die zweite Eröffnungsterminverschiebung.
Berlins Landesarchäologe sprach wie etliche andere Fachleute auch von einem Rätsel. Man habe das nicht vorhersehen können. Andere Fachleute wiederum sagen: doch, doch, das habe man. Einer von ihnen ist Johannes Cramer, Professor für Bau- und Stadtbaugeschichte an der Technischen Universität Berlin. Cramer sagt, man müsse sich nur einmal einen jener schönen alten Berliner Stadtpläne anschauen, die in den Museen der Stadt ausgestellt sind, auf Senatswebseiten vorkommen und auch in Büchern, die von Senatsbaudirektoren herausgegeben werden. Ein aktueller Stadtplan reiche allerdings auch.
Bergwerk in der Mitte der Stadt
„Denn was sieht man da?“, sagt Cramer. Östlich der Oper verläuft eine Straße mit dem Namen Oberwallstraße, vormals: Wallstraße. Es könnte hier also einmal ein Wall gestanden haben, was tatsächlich auch der Fall gewesen ist. Berlins alte Festungsmauer war das, verstärkt durch Bastionen. „Sehr schwere Erdwerke, sehr schwere Gebäude“, sagt Cramer, die der nasse Berliner Untergrund nur dann tragen konnte, wenn zuvor hinreichend viele Holzpfähle in den Boden gerammt worden waren. Auch bis in diese Tiefe von 17 Metern, Herr Cramer? „Das ist Vorlesungswissen bei uns, 1. Semester“, sagt er, „so wie man auch weiß, dass Venedig auf Pfählen gebaut ist.“
Regula Lüscher sagt: „Wir wussten nicht, dass dort in solcher Tiefe Pfähle sind.“ Sechs bis acht Meter, das sei damals üblich gewesen, sagen die Experten, die ihr beipflichten. Man kann das Ganze für einen fruchtlosen Fachleutestreit ums Besserwissen halten, genauso gut kann man aber auch die Frage stellen: Welche Sachverständigen befragt man, bevor man eine Staatsoper saniert?
Die Frage erscheint auch deshalb als berechtigt, weil die erste Eröffnungsterminverschiebung auch mit unerwarteten Grundwasserproblemen erklärt worden war. Berlins Baugrundprobleme aber sind Allgemeinwissen, die Oper steht zudem auf dem einst zugeschütteten Festungsgraben. Die Keller des Hauses standen oft unter Wasser, dagegen halfen nur Pumpen. Die Wände waren feucht und voller Pilze. Lüscher sagt: „Man lebt mit dem Risiko, dass man Unvorhergesehenes hat.“
Sich widersprechende Fachleute
Die Fruchtlosigkeit des Streits um die Baukosten für die Staatsopernsanierung, um die Terminverschiebungen und über das vermeintlich Unvorhersehbare hat viel mit diesen einander widersprechenden Fachleuten zu tun. Viele Beteiligte und Beobachter schwiegen auch einfach und sorgten damit für eine uninformierte Öffentlichkeit, der gar nichts anderes übrig blieb, als sich ihren eigenen Reim auf die ganze Sache zu machen. Sie kam zu dem Schluss: Hier sollen Versagen und Leichtfertigkeit verschleiert werden.
Auch das scheint die Stadtentwicklungsverwaltung mittlerweile erkannt zu haben. Lüscher kündigt einen Tag der offenen Baustelle an, Baustellenkonzerte, für irgendwann nach dem kommenden Winter. Auf dass sich die Menschen ihr eigenes Bild machen können von diesem Bergwerk in der Mitte ihrer Stadt, von seinen Ausmaßen und der Solidität, mit der die Arbeiten daran vorangetrieben werden. Vielleicht könnte ihr Urteil anschließend etwas milder ausfallen. Man wolle fortan besser kommunizieren, heißt es aus Lüschers Büro.
Es geht jetzt schon ein bisschen los damit. Hermann-Josef Pohlmann, Lüschers Abteilungsleiter für Hochbau, führt gemeinsam mit einem Bauleiter über die Opernbaustelle. Er spricht von den Herausforderungen des modernen Regietheaters an die künftige Konstruktion des Staatsopernbaus, und um die deutlich zu machen, greift er zu einer Übertreibung. In jeder Ecke der Bühne müsse man künftig einen Panzer abstellen können, sagt er.
Aber weil die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung hinterher verfügt, dass in einem Zeitungsartikel, für dessen Entstehen sich Lüscher hat befragen lassen und eine Baustellenführung bewerkstelligt hat, ausschließlich Lüscher zu zitieren sei, sagt Pohlmann das jetzt nicht offiziell. Pohlmann, der sehr viel Erhellendes zu erzählen hätte, sagt gar nichts mehr.
Unbeschreiblich viel Arbeit
Er zeigt nur noch. Er zeigt das Bühnenhaus, dessen Volumen komplett ausgefüllt ist von einem Baugerüst. Er weist nach unten, wo sich einen Zentimeter dicke Stahlbleche rings um das halbe Gebäude legen, festgehalten von 96,18 Meter tief in den Boden getriebenen Pfählen, so dass es im Grundwasser ankert wie ein Tanker im Meer. Ziegelsteine aus acht Bauepochen sind zu sehen, und im Garderobenkeller Pfeiler, von denen jeder einzelne abgeschnitten, isoliert und wieder befestigt worden ist, damit auch der letzte Tropfen Wasser von unten keine Ritze mehr zum Aufsteigen findet. Die historische Decke im Zuschauersaal, beheizt, zerlegt in 435 Teile und gelagert weit oben auf einem Gerüst, um ihr einen Transport und damit potenzielle Zerstörung zu ersparen. Das Stahlskelett der künftigen Dachkonstruktion, das Kräfte aufnehmen kann, ohne die Wände zu belasten. Abgestützte Fassadenteile, 80 Stück werden es am Ende der Bauzeit gewesen sein.
Wer den beiden Männern folgt und an nahezu jeder aufgestemmten Wand Schlitze für Strom- und Wasserleitungen sieht, die in keinem Bauplan verzeichnet sind, wer mitbekommt, dass eines der kleineren Probleme Verschalungen aus den 20er Jahren waren, die noch im Boden herumlagen, wer die Bodenvereisungsmaschinerie sieht, die mächtigen Streben und all die anderen Vorrichtungen, mit denen unter anderem verhindert werden soll, dass die benachbarte St.-Hedwigs-Kathedrale in die Baugrube kippt, wer überhaupt erst einmal einen Blick in das entkernte, in seinen Dimensionen jetzt erst begreifbare Haus werfen kann, der ahnt etwas von der Arbeit, die die Bauleute hier zu tun haben.
Noch aber erlaubt die Obrigkeit das nur ansatzweise. Allen anderen bleibt wieder nichts anderes übrig, als sich ihren Reim darauf zu machen.
Erschienen auf der Reportage-Seite.