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Gedenkorte in Berlin: 50 Jahre Mauer: Von Gassen und Sackgassen

Auf dem Mauerstreifen an der Bernauer Straße soll Platz geschaffen werden für das Gedenken. Redakteurin Barbara Junge beschreibt, warum sie ihren Garten nicht für ein Alibi-Projekt opfern will.

In ein paar Tagen, am 13. August, kommt die Kanzlerin in meinen Garten, ganz in die Nähe jedenfalls. Angela Merkel, die erste Ostdeutsche an der Spitze der Republik, wird dem 50. Jahrestag des Mauerbaus gedenken, es gibt eine Kranzniederlegung, eine Andacht, eine Schweigeminute.

Der historische Akt wird in der Gedenkstätte an der Bernauer Straße stattfinden, einem der letzten Teile, auf dem der Mauerstreifen partiell konserviert worden ist und deren Ausbau pünktlich zu diesem geschichtsträchtigen Datum fertig geworden ist. Die nationale Gedenkstätte beginnt am Nordbahnhof und endet an der Brunnenstraße. Kurz dahinter, auf der anderen Seite der Brunnenstraße, liegt unser Garten, bei dem der lange Schatten der Vergangenheit bis in die Gegenwart reicht. Er soll verstaatlicht werden, wie auch eine kleine Zahl von Gärten links und rechts von uns, der Senat will dort eine Gedenkgasse hindurchführen und damit die Gedenkstätte Berliner Mauer erweitern.

Der Garten ist Sinnbild einer Auseinandersetzung, die Senat, Abgeordnetenhaus und Juristen seit nun mehr als zwei Jahren beschäftigt, inklusive eines Mediators, der derzeit zwischen Senat, Gedenkstiftung und Anwohnern mögliche Lösungen sondiert. Der ehemalige Todesstreifen diesseits der Brunnnenstraße wird künftig von Neubauten dominiert, das Gedenken wird in eine kleine Gasse gezwängt, die durch private Gärten verläuft, die der Senat nicht besitzt. Es ist eine Planung, die vorne und hinten nicht zusammenpasst und bei der die Würde des Gedenkens auf dem Spiel steht. Der Konflikt steht, mehr als 20 Jahre nach dem Fall der Mauer, für die Schwierigkeit der Politik, eine angemessene, große Form des Umgangs mit der Geschichte zu finden.

Das Grundstück, um das es geht, ist etwa 100 Quadratmeter groß, einst standen Quergebäude auf den Grundstücken hinter der Schönholzer Straße, bevor die DDR alle Häuser abreißen ließ, aus denen der Sprung in den Westen möglich war. Später verlief der Postenweg über dieses Stück des Todesstreifens, auf dem die Grenztruppen der DDR patrouillierten.

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Ein fast vergessener Ort. Grün und Gärten an den Häuserzeilen zwischen Brunnen- und Schwedter Straße sollen weg. Das Land Berlin benötigt das Areal als Mauergedenkort – von ein paar Neubauten einmal abgesehen.
Ein fast vergessener Ort. Grün und Gärten an den Häuserzeilen zwischen Brunnen- und Schwedter Straße sollen weg. Das Land Berlin benötigt das Areal als Mauergedenkort – von ein paar Neubauten einmal abgesehen.
© Doris Spiekermann-Klaas

Der Jubel über den Fall der Mauer mündete schon bald in die Frage, wie mit den Brachen umzugehen sei, auf denen einst die Mauer stand. Schon früh, Anfang der 90er Jahre, wurden die Mauergrundstücke, von denen es in Berlin 1752 gab, zum Spielball der Politik. Der Senat von Berlin unter dem damaligen Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) war geprägt durch die Teilung der Stadt, er plädierte für die bedingungslose Rückübertragung aller Grundstücke an jene Besitzer, denen die DDR ihr Grundstück entwendet hatte, „ohne Wenn und Aber“, wie Diepgen forderte. Der Senat wollte das Mauerunrecht damit wieder gut machen; es sollte keine zweite Form der Enteignung geben. Einem entsprechenden Beschluss stimmten alle Parteien im Abgeordnetenhaus zu, auch die Opposition.

Die Bundesregierung dachte dagegen pragmatischer, sie wollte die Flächen für neue Investitionen öffnen und den Blick nicht nach hinten, sondern nach vorne richten; jahrelange Streitereien um die Rückübertragung sollten neue Projekte nicht behindern.

Und so passierte am 19.Juli 1996 das Mauergrundstücksgesetz den Deutschen Bundestag. Es sah vor, dass Alteigentümer die Grundstücke, auf denen die Mauer stand, zu einem Viertel des Verkehrswertes erwerben konnten. Der Berliner Senat hatte 1994 als Protest sogar eine Bundesratsinitiative angestoßen. Und als mehrere Eigentümer vor das Bundesverfassungsgericht nach Karlsruhe zogen und die bedingungslose Rückgabe der Grundstücke forderten, versicherte der damalige Staatssekretär der Berliner Justizverwaltung, Detlef Borrmann, den Klägern die „politisch-moralische“ Unterstützung durch den Senat. Doch die Klagen scheiterten, das Mauergrundstücksgesetz trat in Kraft.

Allerdings hatte die Bundesregierung im Mauergrundstücksgesetz ein Schlupfloch gelassen. Paragraf 3 sah vor, dass der Staat mit den Flächen nach eigenem Ermessen verfahren konnte. „Will der Bund ein Grundstück für dringende eigene öffentliche Zwecke verwenden“, so könne er den Rückverkauf an die Alteigentümer ablehnen. Für den Senat bedeutete das, dass er jene Grundstücke, die er für ein angemessenes historisches Gedenken in der einst geteilten Hauptstadt brauchte, für sich reservieren konnte.

Unsere persönliche landschaftliche Wiedervereinigung fand am 12.Januar 1998 statt. An diesem Tag hatte das zuständige Bezirksamt Mitte von Berlin nach Rücksprache mit dem Senat entschieden, dass keinerlei öffentliches Interesse an unserem Grundstück vorlag. An einem heißen Sommertag 1998 liehen wir uns eine Hilti-Pressluftmaschine und sprengten die rissigen Reste von Asphalt, die uns die letzte DDR-Regierung hinterlassen hatte. Unter dem Teer lagen die alten Stromkabel, die  wohl einst die Flutlichtanlage der Grenze versorgt hatten. Nach ein paar Minuten harter destruktiver Arbeit fuhr ein Streifenwagen mit zwei Schutzpolizisten vor. Eine seit Jahrzehnten am Mauerstreifen wohnende Nachbarin hatte die Polizei gerufen und wollte eine Strafanzeige wegen Sachbeschädigung aufgeben, schließlich war der Postenweg jahrzehntelanges öffentliches Eigentum gewesen. Nach einem kurzen Gespräch rückten die Schupos wieder ab, ohne Anzeige.  

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An Stelle des Asphalts ließen wir frische Erde anfahren und säten Rasen. Im Sommer 1999, zur Geburt unserer Tochter, pflanzten wir auf dem einstigen Postenweg der Tradition folgend einen Apfelbaum. Es war unsere ganz private Form der Versöhnung mit der Geschichte. Mein Schwiegervater, der das Haus nach dem Fall der Mauer erworben hatte, war 1961 kurz vor dem Mauerbau aus dem Osten in den Westen geflüchtet und hatte jahrelang mit hohem persönlichen Risiko Menschen aus Ost- nach West-Berlin geschmuggelt und nachts Teile der Mauer sabotiert. Nun hatte sich ein Kreis geschlossen. Wo einst der Tod drohte, gedieh in unserem Garten neues Leben.

Andere machten es uns nach, der Mauerstreifen ging zurück an Alteigentümer oder lag brach, 20 Jahre lang passierte im Wesentlichen nichts. Der Streifen bot der Ambrosia-Pflanze und den Drogendealern, die die Polizei vom Rosenthaler Platz zum U-Bahnhof Bernauer Straße verdrängt hatte, ein sicheres Refugium. Manchmal fanden wir benutzte Spritzen an unserem Garten, gelegentlich überstieg ein Junkie den Zaun und brach in eine der Wohnungen ein. Nach den intensiven Debatten nach dem Mauerfall schien es, als habe die Geschichte uns vergessen.

Der erste, der etwas von uns wollte, war der Berliner Liegenschaftsfonds, 2007. Man werde an uns herantreten, um uns unser Grundstück abzukaufen, weil dort ein verlängerter Teil der Gedenkstätte geplant sei, teilte uns ein Sachbearbeiter mit. Was nicht geschah. Weder meldete sich der Senat noch die Gedenkstätte Berliner Mauer noch sonst jemand.

Das nächste Mal lasen wir von unserem Grundstück, als der Senat den Entwurf eines Bebauungsplans im Sommer 2009 auslegte. Irgendjemand hatte mit einem dicken roten Filzstift einen Weg über den Mauerstreifen gezeichnet, der den einstigen Postenweg markierte und die nationale Gedenkstätte fortsetzen sollte. Der rote Filzstrich geht mitten durch unseren Garten, der, wie wir lesen konnten, nicht mehr unser Garten sein sollte. In den Erläuterungen sind verschiedene Problemgrundstücke aufgeführt, unseres zählt nicht dazu. In Gedanken hatte uns der Senat offenbar schon verstaatlicht. Der einstige Postenweg soll jenseits der nationalen Gedenkstätte am Nordbahnhof die Erinnerung fortführen, bis zur Schwedter Straße.

Der überwiegende Rest des Mauerstreifens, direkt hinter unserem Garten, wird zu den teuersten Adressen des neuen Berlin gehören. Geplant sind laut Bebauungsplan siebenstöckige Luxushochhäuser mit Privatgärten, die nicht nur die Berliner Traufhöhe sprengen, sondern auch sämtliche Altbauten in der Umgebung bei weitem überragen. Die Quadratmeterpreise liegen zwischen 3000 und 4500 Euro, die Penthouse-Maisonette des Projektes „Mauerlofts“, das damit wirbt, auf „geschichtsträchtigem Grund“ zu entstehen, kostet 1,21 Millionen Euro. Man blickt aus sicherer Höhe auf die Migrantenviertel im Norden und unser Grundstück im Süden, wer einen brandstiftergeschützten Platz in der Tiefgarage haben möchte, darf weitere 30.000 Euro zahlen. Den Mauerstreifen muss man sich leisten können.

Warum der Streifen zwischen Nordbahnhof und Brunnenstraße durchgängig dem Gedenken gewidmet ist, während unser Teil zwischen Brunnenstraße und Schwedter Straße vor allem Privatinvestoren offen steht, ist mir ein Rätsel. Die Erweiterung der Gedenkstätte entlang unserer Grundstücke sei „nicht als Bestandteil von nationaler Bedeutung“ anzusehen, behauptet die Stadtentwicklungsverwaltung, eine Art Gedenken zweiter Klasse also. Es wäre der Dimension der geschichtlichen Bedeutung angemessen gewesen, den gesamten Mauerstreifen zwischen Nordbahnhof und Schwedter Straße als Gedenkstätte auszuweisen. An der Ecke zu Ruppiner Straße entstand jenes legendäre Foto, das den DDR-Grenzsoldaten Conrad Schumann am 15. August 1961 beim Sprung über Stacheldraht in den Westen zeigt.

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Doch der Senat setzte andere Prioritäten, und als 1996, nach Inkrafttreten des Mauergrundstücksgesetzes die Möglichkeit bestand, die Grundstücke im öffentlichen Interesse anzukaufen, wurde die Idee eines durchgehenden Gedenkens mit einem Verweis auf die leeren Stadtkassen abgetan. Deshalb reicht die „nationale Gedenkstätte“ heute nur bis zur Brunnenstraße, unser Teil ist eine künftig von private Investoren dominierte innnerstädtische Brache, eine „historisch geprägte, grüne Promenade“ im Schatten von Hochhäusern, „die wir mit spezifischen Gedenkstättenangeboten versehen werden“, wie der Gedenkstättenleiter Günther Schlusche verspricht.

Mit dieser Gedenkgasse im Schatten der Hochhäuser versucht der Senat, eine von Anfang an vermurkste Planung zu kompensieren. Es hätte Größe gehabt, den Streifen als begehbares Mahnmal zu erhalten, wie es die Anwohner gefordert haben.

Einer Metropole wie Berlin, deren Identität untrennbar mit der Teilung zusammenhängt, die bis heute eine gezeichnete Stadt ist, hätte es gut angestanden, ein längeres Stück der Mauer und des Mauerstreifens zu erhalten, gleichsam als erlebbare Stadtgeschichte; auch Conrad Schumann hätte es verdient, dass der geschichtsträchtige Grund seines Mauersprungs nicht verkauft wird.

Für uns steht unser Grundstück für gelebte Stadtgeschichte, es stellt eine Brücke dar zwischen drei Generationen, die in dieser erst vereinten, dann geteilten und heute wieder vereinten Stadt leben. Für eine Lösung, die den gesamten Mauerstreifen zur Gedenkstätte macht, würden wir unseren Garten gerne zur Verfügung stellen. Noch ist es dafür nicht zu spät, noch ist der Mauerstreifen weitgehend unbebaut, aber in all den Jahren hat es nie ein Signal des politischen Willens für ein würdiges, großes Gedenken gegeben. 

Wenn sich der Senat nicht dazu durchringt, wird es wohl auf eine halbherzige Kompromisslösung hinauslaufen. Die Politik hat immerhin so viel Sensibilität besessen und den Bewohnern garantiert, dass es an dieser stadtpolitisch empfindsamen Stelle keine Enteignungen geben wird. „Ich kann ja die Anwohner nicht zwingen, dass sie ihre Grundstücke verkaufen, das will ich auch nicht“, so hat es Kulturstaatsekretär André Schmitz im Abgeordnetenhaus versichert. Im „allerschlimmsten Fall“ müsse man auf jene Grundstücke verzichten, deren Eigentümer nicht verkaufen wollten.

Wie ein möglicher Kompromiss aussieht, ist im nationalen Teil der Gedenkstätte zu besichtigen. An der Strelitzer Str. 28 hat der Bezirk Ende der 90er Jahre sogar den Bau eines neuen Wohnhauses genehmigt, das nun mitten auf dem Postenweg thront. Das Haus sei kein Fremdkörper, hat der oberste Gedenkbeamte des Senats, Rainer Klemke, im vergangenen Herbst im Tagesspiegel erklärt. „Das ist auch ein Zeichen der Geschichte und kann umgangen werden.“ Mit dem Haus würden die „sich überlagernden Nutzungsphasen“ des Mauerstreifens offen gelegt. Der Postenweg macht nun einen Schlenker, die Würde des Gedenkens bleibt erhalten.

Ein solcher historischer Schlenker, der die verschiedenen Nutzungsphasen des Postenweges widerspiegelt, wird derzeit auch für unseren Teil des Mauerstreifens in den Mediationsgesprächen diskutiert, „Umwegung“ nennen die Stadtplaner das. Es wäre eine typisch Berliner Lösung: improvisiert, unfertig, aber irgendwie auch charmant. Die bis zu einer halben Million Touristen, von denen die Gedenkstätte ausgeht, würden wir als ebenso fordernde wie inspirierende Bereicherung betrachten, schließlich leben wir in der Mitte einer der pulsierendsten Metropolen Europas.

Schlimm wäre es dagegen, wenn sich der Senat nicht einmal dazu durchringen könnte, sondern der Mauerstreifen jenseits der Brunnenstraße auf unserem Teil ein reines Flickwerk bliebe, auf dem nichts zusammenpasst, mit zu hoher Bebauung, zu geringen Abstandsflächen zwischen Alt- und Neubauten und einer Gedenkgasse, aus der eine Gedenksackgasse wird, weil dem Senat die Umwegung zu teuer ist. Ein solcher Bebauungsplan, wie ihn derzeit die Stadtentwicklungsverwaltung favorisiert, würde vor den Verwaltungsgerichten zermahlen und vermutlich niemals in Kraft treten. Es wäre ein stadtplanerischer Offenbarungseid.

Der Senat behauptet gerne öffentlich, die Anwohner hätten die bisherigen Kaufangebote ausgeschlagen, auch wir. Die Wahrheit ist, dass sich in den mehr als vier Jahren, in denen das Bebauungsplanverfahren jetzt läuft, bis heute niemand mit einem Angebot bei uns gemeldet hat, um uns das Grundstück abzukaufen. Es scheint, als glaube selbst der Senat nicht mehr an seine Planung.

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