Räumung der Gerhart-Hauptmann-Schule: 40 Flüchtlinge harren aus - Lösung nicht in Sicht
Die Gerhart-Hauptmann-Schule in Kreuzberg ist noch nicht komplett geräumt. Rund 40 Bewohner sind nach wie vor auf dem Dach des Gebäudes. Eine Unterstützerdemo am Mittwochabend verlief weitgehend friedlich.
Der Tag nach der Räumung der Gerhart-Hauptmann-Schule in Kreuzberg verläuft schwieriger als erhofft. Mindestens 40 Flüchtlinge lehnen es weiterhin ab, auszuziehen. Den ganzen Tag über verhandeln drei Bezirksstadträte, Flüchtlingsanwälte und Abgeordnete mit den Besetzern. Doch bis zum Morgen zeichnete sich keine Lösung ab. Die Flüchtlinge verlangen eine Garantie, dass sie nicht abgeschoben werden. Das Angebot des Senats, ihre Asylverfahren erneut zu prüfen, reicht ihnen nicht. Ihr Vorwurf: Die Vereinbarung mit den Flüchtlingen vom Oranienplatz habe der Senat längst gebrochen.
Am Abend demonstrieren bis zu 400 Unterstützer der Flüchtlinge. Der Zug vom Oranienplatz zur Ohlauer Straße bleibt ganz überwiegend friedlich. Nur als die Polizei zwei Vermummte aus der Menge holt, fliegen ein paar Flaschen. Gegen 23.40 Uhr endet die Demo. „Der Regen hat die Leute wohl nach Hause getrieben“, heißt es bei der Polizei. Auch die Nacht zu Donnerstag blieb weitgehend ruhig. Laut Polizei gibt es vier Festnahmen wegen Verstößen gegen das Vermummungsverbot und Landfriedensbruch, vier Beamte werden leicht verletzt.
Am Mittwochmorgen hatten die Flüchtlinge zu einer Pressekonferenz aufs Dach der Schule geladen, doch Bezirk und Polizei ließen keine Journalisten durch. Der Zugang zu den Medien wird zum Druckmittel in den Verhandlungen. Die Flüchtlinge sollen das Dach räumen. Das lehnen sie ab. Piratenchef Christopher Lauer spricht von einer Einschränkung der Pressefreiheit.
Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Bündnis 90/Grüne) müsse sich dazu vor dem Parlament rechtfertigen. Die sagt in der RBB-Abendschau, dass man „einen Weg“ für die Flüchtlinge finden könne, aber „keine Lösung“ für das grundsätzliche Problem, nämlich die Ablehnung des deutschen Asylrechts. „Unsere Möglichkeiten sind definitiv erschöpft.“
An der Polizeiabsperrung haben sich rund 50 Unterstützer, Flüchtlinge und Journalisten versammelt. Unter den Flüchtlingen sind einige, die in der Schule gewohnt haben, aber die Räumung tags zuvor verpasst haben. Sie wollen ihre Sachen holen; die Polizei weist sie ab.
Die Pressekonferenz wird in ein kleines Café verlegt. Till Egen, ein Filmemacher, baut per Skype eine Verbindung in die Schule auf. Auf einem Smartphone erscheinen die unscharfen Umrisse einiger Bewohner. Drei Fernsehkameras sind auf das Smartphone gerichtet. Nacheinander erklären die Besetzer, dass sie nicht vorhaben, die Schule zu räumen. „Mimi“, eine Aktivistin vom Oranienplatz, fordert „Bleiberecht für alle“ . Die Besetzer ließen sich nicht für 400 Euro Sozialhilfe im Monat ihre Freiheit abkaufen.
Die Verhandlungen sind ausgesetzt
Canan Bayram, Grünen-Abgeordnete, erklärt, die Verhandlungen seien ausgesetzt. Nach ihrer Einschätzung befänden sich noch 90 Flüchtlinge in der Schule. „Die Menschen sind entschlossen, hier zu bleiben, koste es, was es wolle.“ Essensvorräte gebe es noch reichlich in der Schule. Der Linken-Abgeordnete Hakan Tas sagt, die Flüchtlinge wollten mit Innensenator Frank Henkel (CDU) reden. Eine Flüchtlingsanwältin erklärt, der Senator unterlaufe die Vereinbarung vom Oranienplatz. Das sei skandalös.
Beinahe zeitgleich laden auch Sozialsenator Mario Czaja (CDU) und Bezirksbürgermeisterin Herrmann zu einer Pressekonferenz ein. Czaja vermeldet, dass bis zu diesem Zeitpunkt 188 Flüchtlinge aus der Schule in die Quartiere in Charlottenburg und Spandau gezogen seien. „Das ist ein Erfolg und das Ergebnis der vertrauensvollen Zusammenarbeit mit dem Bezirk Friedrichshain- Kreuzberg in den vergangenen Wochen und Monaten“, sagt Czaja.
Herrmann ihrerseits versichert, dass der Bezirk nach dem Auszug keine Neubesetzung dulden wird. „Wenn die Schule leergezogen ist, werden wir das Gebäude sichern“, sagt Herrmann. Aber sie weist auch darauf hin, dass der Bezirk den in der Schule verbliebenen Flüchtlingen kein Ultimatum gesetzt hat oder setzen wird, bis wann sie die Schule verlassen haben müssen. Die vereinbarte Lösung gelte für alle. Während die Bezirksbürgermeisterin die Räumung des Oranienplatzes im April direkt begleitete, hält sie sich bei der Hauptmann-Schule eher im Hintergrund. Das überlässt sie ihren Bezirksamtskollegen.
Unterstützer der Flüchtlinge nehmen ihr dieses aber gerade übel. In sozialen Netzwerken wie Facebook fordern sie Herrmann dazu auf, endlich Stellung zu beziehen – was sie am Abend im Fernsehen tut. Am Nachmittag besetzen einige Demonstranten die Flure im Rathaus in Friedrichshain, die zum Büro der Bezirksbürgermeisterin führen. Nach kurzer Zeit ziehen sie jedoch wieder ab.
Henkel: Es gibt keine weiteren Entscheidungsspielraum
Auch Innensenator Henkel, der schon lange vom Bezirk die Räumung der Schule gefordert hatte, meldet sich zu Wort. Er begrüßt die Bereitschaft des Bezirks, „mit dem Senat an einem Strang zu ziehen und die Polizei um Vollzugshilfe gebeten“ zu haben. Durch das Angebot von weiteren Unterkünften habe der Senat wieder einmal unter Beweis gestellt, dass ihm das Wiederherstellen der rechtmäßigen Zustände ein wichtiges Anliegen ist. Wie ein Sprecher weiter sagt, empfiehlt der Innensenator auch den verbliebenen Flüchtlingen, in die Unterkünfte zu ziehen. Danach würden die Einzelfälle geprüft. „Ein Spielraum für über das Einigungspapier hinausgehende Angebote des Senats besteht nicht“, sagt der Sprecher.
Lesen Sie hier noch einmal die Ereignisse chronologisch in unserem Live-Blog nach.
Integrationssenatorin Kolat will sich nicht äußern
Anders als Henkel und Czaja will sich Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) am Mittwoch nicht der Räumung äußern. Kolat hatte die Einigung mit den Flüchtlingen vom Oranienplatz ausgehandelt.
Der Bezirk will aus der Schule ein Flüchtlingszentrum mit 70 Schlafplätzen machen. Dazu muss die ehemalige Schule aber erst einmal saniert und umgebaut werden. Die Besetzer fordern verbindliche Zusagen, später in dieses Flüchtlingszentrum einziehen zu können. Das lehnt der Bezirk ab.
Die Flüchtlinge lehnen ein Gesprächsangebot des Bezirkes ab
Am Nachmittag lehnen die Flüchtlinge ein Angebot des Bezirks ab, mit einem Team, das aus drei Stadträten, einem Psychologen und einem Vertreter der Polizei besteht, Möglichkeiten zur Lösung des Konflikts auszuloten. Die Flüchtlinge hatten die Bedingung gestellt, dass alle Polizeibeamten vorher abgezogen werden müssen. „In Anbetracht der schwierigen Sicherheitslage musste dieses Ansinnen abgelehnt werden“, sagt Stadtrat Hans Panhoff (Grüne). Im Haus war am Dienstag Benzin verschüttet worden, außerdem wurden etliche Barrikaden gebaut.
Für rund 20 Flüchtlinge, die an den Absperrungen warten und trotz ihres Hausausweises nicht in das Gebäude kommen, um ihre Sachen abzuholen, zeichnet sich am Nachmittag eine Lösung ab. Sie werden in einer nahe gelegenen Kirchengemeinde registriert und sollen bald die neuen Unterkünfte beziehen können.