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Neue Heimat. Kinder wie der fünfjährige Ian aus dem Irak suchen Schutz in Deutschland.
© Monika Skolimowska/dpa

Flüchtlingskinder in Berlin: 14.000 zusätzliche Kitaplätze sollen geschaffen werden

Alle sind sich einig: Flüchtlingskinder sollten so schnell wie möglich in die Kitas. Noch klappt das nicht immer. Es fehlen Kitaplätze.

Wenn man Dana Weyrauch in ihrer Kita in Grünau besucht, verfliegen Bedenken wie von selbst. Ist es nicht schwierig, Kinder aus Flüchtlingsfamilien in eine Kitagruppe zu integrieren? Wie geht man mit den Eltern um, wie mit den Behörden? Die 44-jährige Leiterin der Kita Grüne Aue strahlt eine solche Ruhe und Gewissheit aus, dass man sofort glaubt, dass sich all das lösen lässt.

„Wenn ich Ihnen eine unserer Kindergruppen zeige, werden Sie nicht erkennen, welches Kind aus dem Flüchtlingsheim kommt, und welches nicht“, sagt Weyrauch. Im Moment sind rund zwanzig Kinder aus der benachbarten Unterkunft in der Kita, die 153 Plätze hat. Und tatsächlich, beim Gang durch die Gruppenräume: Überall wuseln Kinder herum, klettern im Bewegungsraum, lassen sich was vorlesen oder sitzen beim Mittagessen. „Es sind überall Flüchtlingskinder dabei“, sagt Weyrauch. Unterscheiden kann man sie nicht, zeigen und herausholen will sie sie nicht, aus Datenschutzgründen, sagt sie.

„Die Kinder lernen unheimlich schnell. Schon nach vier Wochen haben sie ein Sprachverständnis. Und nach drei Monaten können sie gut Deutsch sprechen“, sagt Weyrauch. Dass die Kinder manchmal nur ein paar Monate bleiben können, findet sie schade, aber ein Hinderungsgrund sei es nicht: „Jeder Tag, den sie hier als normale Kindheit erleben können, ist ein Gewinn.“

Flüchtlingsfamilien zögerten

Das Vertrauen der Eltern aus der Unterkunft wachse mit der Zeit. „Sie sehen, dass die Kinder ganz schnell Deutsch lernen“, sagt Weyrauch. „Und die Kinder sagen es weiter, dass es ihnen in der Kita gefällt. So spricht sich das herum. “

Nicht überall klappt die Integration von geflüchteten Kindern in Berliner Kitas so gut. Es gibt nicht einmal verlässliche Zahlen, wie viele es sind. „Es geistert eine Zahl von 1000 Kindern aus Flüchtlingsfamilien herum, die in den Kitas betreut werden. Aber genau weiß man es nicht“, sagt Stefanie Fried, Kitareferentin beim Paritätischen. Die Senatsjugendverwaltung liefert Daten vom Dezember 2015: Damals zählte man knapp 3000 Kinder unter sechs Jahren in Gemeinschaftsunterkünften, rund 590 davon gingen in eine Betreuungseinrichtung.

Woran liegt es, dass nur wenige Flüchtlingskinder in den Kitas ankommen – zumal sich doch alle einig sind, dass eine frühe Förderung und Spracherwerb der beste Weg zur Integration ist? Zunächst ging man davon aus, dass die Flüchtlingsfamilien zögerten, ihre Kinder in Kitas zu schicken, weil sie das Konzept nicht kennen oder weil sie sich nach den Fluchterfahrungen nicht von ihren kleinen Kindern trennen wollten.

Doch mittlerweile ist der Bedarf gestiegen. Das Hauptproblem ist eher, dass es nicht genügend Kitaplätze gibt. „Wir haben aktuell kaum Reserven und bräuchten rund 500 Plätze mehr“, sagt beispielsweise Lichtenbergs Jugendstadträtin Sandra Obermeyer (Linke). Jugendstaatssekretärin Sigrid Klebba (SPD) bezifferte den Bedarf für Lichtenberg bis 2019 jüngst, wie berichtet, auf 1500 zusätzliche Kitaplätze. Der Masterplan Integration des Senats sieht vor, in den nächsten Jahren 14 000 zusätzliche Plätze in Berlin zu schaffen.

Familien bräuchten Vorrang bei der Vergabe von Wohnungen

Die Bereitschaft der Kitas, Kinder aus Flüchtlingsfamilien aufzunehmen sei hoch, sagt Kitaexpertin Fried. Jedoch gebe es für die Einrichtung Hürden: Sie haben einen erhöhten Aufwand, bekommen aber nicht unbedingt mehr Zuwendungen. Zusätzliche Erzieherstunden gibt es nur, wenn mehr als 40 Prozent der Kinder eine andere Herkunftssprache als Deutsch haben. Immer wieder komme es vor, dass die Kinder die Kita nach wenigen Monaten wieder verlassen müssen, gerade dann, wenn die aufwändige Eingewöhnung abgeschlossen sei.

Manche Erzieher fühlen sich zudem unsicher, wie sie mit den Kindern umgehen, wie sie auf eventuelle Traumata reagieren sollen. „Der Bedarf nach Fortbildungen ist enorm“, sagt Christa Preissing, Leiterin des Berliner Kita-Instituts für Qualitätsentwicklung. „Vor kurzem haben wir einen Fachtag zu dem Thema organisiert und nach wenigen Tagen hatten wir doppelt so viele Anmeldungen wie Plätze.“

Preissing und Fried engagieren sich im Bündnis „Willkommen konkret“, einem Zusammenschluss von Erziehern und Experten aus dem Kitabereich. Das Bündnis fordert, dass alle Kitas, die Flüchtlinge aufnehmen, einen Personalzuschlag bekommen. Zudem benötigten die Kitas Sprachmittler. Diese seien im Masterplan aber nicht ausreichend vorgesehen. Und die Familien bräuchten Vorrang bei der Vergabe von Wohnungen, damit sie schnell aus Notunterkünften heraus kommen und längerfristig planen können.

Und was tut der Senat? „Unser Ziel ist, dass die Kinder so früh wie möglich einen Kitaplatz in Anspruch nehmen, nicht zuletzt im Interesse einer erfolgreichen Vorbereitung auf den Schulbesuch“, sagt Ilja Koschembar, Sprecher der Jugendverwaltung von Senatorin Sandra Scheeres (SPD).

Es geht zu langsam voran

Laut Masterplan sollen 24 sogenannte Modellkitas entstehen: Einrichtungen, die schon Erfahrung mit der Integration von Flüchtlingskindern haben, und bei denen sich Erzieher in der Praxis anschauen können, wie es funktioniert. Zudem soll es bald so genannte Sprungbrettangebote direkt in den Flüchtlingsunterkünften geben: Eltern-Kind-Gruppen und Spielkreise, bei denen Eltern und Kinder an das reguläre Kitasystem herangeführt werden. Das bringe aber nur etwas, wenn danach auch Kitaplätze zur Verfügung stünden, sagt Stadträtin Obermeyer: „Sonst folgt ein Sprung ins Nichts.“

Stefanie Fried vom Paritätischen kritisiert, dass die Sprungbrettangebote nicht in allen Unterkünften geplant seien und vor allem „geht es viel zu langsam voran.“ Nicht in Grünau allerdings. Dana Weyrauch hat schon neue Ideen: Zur Vorbereitung des nächsten Kitafests könnte sie den Berliner Eltern und den Eltern aus dem Heim gemeinsame Aufgaben geben. Und einen Geburtsvorbereitungskurs für die Flüchtlingsfrauen würde sie auch gern in den Kitaräumen anbieten.

Wie schafft sie das alles? Sie bekommt keine zusätzlichen Erzieherstunden, weil der Großteil der Kinder deutsch spricht. „Ohne mein engagiertes Team ginge es nicht“, sagt sie. Ihr Träger, Fipp e.V., unterstütze sie mit einer Fachberatung und setze sich aktiv für die Integration ein. Ganz wichtig sei, dass man netzwerke. Sie tauscht sich mit den Sozialarbeitern der Unterkunft aus, mit den Lehrern aus der Schule, dem Pfarrer und anderen Bürgern, die helfen wollen. „Wir treffen uns regelmäßig und besprechen, was wir tun können.“ Sie selbst sagt, sie gehe „unbedarft“ an die Sache heran und schaue einfach, was nötig ist.

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